Kommentar zum NFL-Fall Tagovailoa: Kopfverletzungen erreichen neues Debatten-Level
Cincinnati - Verheizt die National Football League (NFL) ihre Spieler für den Erfolg? Der Fall um den verletzten Quarterback der Miami Dolphins, Tua Tagovailoa (24) könnte und sollte erhebliche Folgen für die Liga mit sich bringen.
Wir erinnern uns: Am vergangenen Sonntag verletzte sich Tagovailoa beim Sieg über die Buffalo Bills, als er nach einem Sturz mit dem Hinterkopf auf dem Boden aufschlug. Als er versuchte aufzustehen, konnte er sein Gleichgewicht nicht mehr halten und wurde vom Platz gebracht.
Der Sturz sah - gemessen an dem, was man üblicherweise in American-Football-Liga zu sehen bekommt - verhältnismäßig harmlos aus. Was nichts bedeuten muss.
Wenn man ungünstig aufschlägt, dann sind Verletzungen eben nicht auszuschließen. Oder gab es bereits eine Vorgeschichte? Offiziell ist hierzu nichts bekannt, doch es gibt Spekulationen.
Der Quarterback kehrte nach dem sogenannten "Concussion Protocol" - eine Standard-Prozedur der NFL bei Kopfverletzungen - nach der Halbzeit zurück aufs Feld. Was für viele unverständlich war, angesichts der zuvor gezeigten Bilder.
Vonseiten der Dolphins hieß es, er hätte lediglich eine Rückenverletzung erlitten. Ich habe keine Ahnung von Medizin. Aber als jemand, der seit den 80ern mit Football aufgewachsen ist, würde ich auf diese Aussage nicht einmal das Geld eines anderen setzen.
Er wirkte nach seiner Rückkehr fit genug und führte sein Team in an Spannung kaum zu übertreffenden Schlussminuten zum Sieg. Doch nun, in der Nacht auf Freitag, ereignete sich eine Spielszene, die alles über den Haufen wirft.
NFL-Debatte um Verletzungen: Welche Rollen spielten Arzt, Trainer und Spieler?
Josh Tupou (28), seines Zeichens Defense-Liner der Cincinnati Bengals, bekommt im zweiten Quarter Tagovailoa zu fassen und bringt ihn hart zu Boden. Zu hart.
Die Finger des Quarterbacks verkrampfen sich in verschiedene Richtungen, seine Mitspieler signalisieren sofort, dass hier medizinische Hilfe benötigt wird. Minutenlang wird der 24-Jährige auf dem Feld behandelt, ehe er ins Krankenhaus gebracht wird.
Beobachter gehen davon aus, dass der Spieler innerhalb weniger Tage (mindestens) zwei Gehirnerschütterungen erlitt. Das ist alles andere als ungefährlich. Dolphins-Headcoach Mike McDaniel (39) unterstrich, dass er seinen Spieler nie einer Gefahr ausgesetzt hätte, wenn nicht alle Umstände auf einen problemlosen Einsatz hingedeutet hätten.
Die größte Frage, die nun im Raum steht: Welche Verletzung lag beim Sonntagsspiel wirklich vor und welche Rolle spielten die einzelnen Akteure? Wurde der Spieler - und es ist nicht auszuschließen, dass er es auch so wollte - trotz Warnsignalen zurück aufs Feld gelassen?
Eine Kampfansage gegen ein mögliches "Verheizen" der Spieler kommt nun von der NFLPA, die Gewerkschaft der Profi-Spieler.
"Wir sind alle empört über das, was wir in den letzten Tagen gesehen haben und haben Angst um die Sicherheit eines unserer Brüder", schrieb Gewerkschaftspräsident JC Tretter (31) auf Twitter.
"Ein Versagen des medizinischen Urteilsvermögens ist ein Versagen der Protokolle, wenn es um das Wohlergehen unserer Spieler geht." Es wurden umfangreiche Ermittlungen angekündigt. In den sozialen Netzwerken solidarisieren sich die User mit der NFLPA und üben harsche Kritik am mutmaßlichen Fehlverhalten der Miami Dolphins.
Debatte um Kopfverletzungen: "Manchmal müssen dich Leute vor dir selbst beschützen"
Auch andere Spieler erwarten, dass es nun eine entsprechende Reaktion von oberster Stelle geben wird.
"Manchmal müssen dich Leute vor dir selbst beschützen, das ist einfach ein Problem daran, Football-Spieler zu sein", sagte 49ers-Tight-End George Kittle (28).
Da er selbst nicht dabei war, möchte er die Dolphins nicht voreilig verurteilen: "Ich kenne die Details nicht, aber bei all der Prüfung, die im Moment daraufhin stattfindet, gehe ich davon aus, dass die Dinge in Zukunft deutlich strenger werden."
"Auch wenn es ein guter Moment für mich war: es war ein schlimmer Moment für ihn und seine Familie", äußert Josh Tupou in einem Interview nach dem Spiel sein Bedauern. Es war der erste Sack (zu Boden bringen des Quarterbacks, während dieser noch in Ballbesitz ist - Anm. d. Red.) in Tupous Karriere. Er hatte nie vor, Tagovailoa zu verletzen. Er wollte ihn nur zu Boden bringen.
Auch in den sozialen Netzwerken besteht kein Zweifel daran, dass es sich hier um eine saubere, aber unglückliche Aktion handelte.
Die Frage ist nur: wäre die Aktion so unglücklich verlaufen, wenn man vier Tage zuvor andere Entscheidungen getroffen hätte? Die beiden Miami-Spiele werden in der NFL vermutlich für ein sehr langes Nachbeben sorgen. Auch wurden Forderungen laut, dass die Ärzte, die nach einer möglichen Gehirnerschütterung untersuchen, von der NFLPA beauftragt werden und nicht mehr von Vereinen, beziehungsweise der NFL.
Titelfoto: Andy Lyons/Getty Images via AFP, Marco Schimpfhauser