Sekundenkleber entfernen: So löst die Polizei Klimaaktivisten von der Straße

München - Angenehm ist es nicht: Zwar bemühen sich die Polizisten, die festgeklebten Hände vorsichtig zu befreien, doch das klappt nicht immer. Trotzdem kleben sich Klimaaktivisten immer wieder freiwillig mit Sekundenkleber auf Straßen fest. Wie kommen sie da wieder weg? Und wie schauen ihre Hände danach aus?

Ein Aktivist hat sich in München auf einer Straße festgeklebt.
Ein Aktivist hat sich in München auf einer Straße festgeklebt.  © Matthias Balk/dpa

Besuch beim "Glue-on-Team" des Münchner Polizeipräsidiums. Die Beamten schwören nach vielen Selbstversuchen auf eine Mischung aus Speiseöl und Seifenlauge.

Aceton setzen sie wegen der Gesundheitsgefahren nur im Notfall ein. Zwei-Komponenten-Kleber wiederum ist im Gegensatz zu Sekundenkleber derart hartnäckig, dass die Fahrt ins Krankenhaus nötig wird - mit dem herausgemeißelten Bodenbelang an der Hand. Weswegen sich nahezu alle Aktivisten auf Sekundenkleber beschränken.

Um den zu lösen, haben die Münchner Polizisten ähnlich wie ihre Kollegen in anderen Bundesländern neben der rosafarbenen Seifenlauge im Mischverhältnis 1:1 und dem handelsüblichen Speiseöl Pinsel in verschiedenen Größen in ihrer großen schwarzen Einsatztasche, dazu Spatel und Mullbinden. Mit dem Verbandsmaterial können sie die glitschige Mischung besonders schmerzarm an die Klebekante befördern, indem sie wie mit einer Zahnseide unter der Hand hin- und herfahren.

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Gute Dienste leisten dabei die Kniepolster, die das Arbeiten in der gebückten Haltung angenehmer machen.

Eigenes "Glue-on-Team" der Münchner Polizei

Ein Polizist versucht, eine festgeklebte Hand von der Straße zu lösen.
Ein Polizist versucht, eine festgeklebte Hand von der Straße zu lösen.  © Tobias Junghannß/TNN/dpa

Eine halbe Stunde dauert das Ablösen je nach Beschaffenheit des Untergrunds und der verwendeten Klebermenge. Es kann aber auch eine gute Stunde werden. Entsprechend seien die in der Regel kooperativen Umweltaktivisten am Ende durchaus oft froh, abgelöst zu werden, schildert der Leiter der zuständigen Abteilung, Michael Trinkl.

Seine Leute bemühten sich grundsätzlich, möglichst schonend vorzugehen, betont Trinkl - was von den Aktivisten geschätzt wird. "Ich habe tatsächlich ausschließlich gute Erfahrungen gemacht mit der Polizei in München", bestätigt Andreas Hochenauer von der Klimaschutzbewegung "Letzte Generation".

Deren Aktivisten blockieren seit gut einem Jahr vor allem in den Metropolen wie Berlin, Hamburg und München, bei einem Aktionstag kürzlich aber auch in kleineren Städten wie Magdeburg, Jena, Passau oder Reutlingen, den Verkehr, indem sie sich an viel befahrenen Straßen mit Sekundenkleber festkleben.

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Die Gruppe selbst hat bis zum 24. Januar, dem Jahrestag der ersten Aktion in Berlin, 1250 Straßenblockaden in ganz Deutschland gezählt, rund 800 Menschen hätten sich beteiligt. Mehr als 1200 Mal seien Protestierende deswegen in Polizeigewahrsam gekommen.

In Bayern zählte das Innenministerium bis Anfang Januar 30 vollendete Blockadeaktionen. Das Münchner "Glue-on-Team" musste nach eigenen Angaben bisher 35 Mal ausrücken. Dazu zählten neben Straßenblockaden aber auch Aktionen in Unternehmen oder Museen.

Wütende Autofahrer schlimmer als abgerissene Haut

Die Polizei hat eine Protestaktion auf einer Straße in München abgesperrt. Die Aktivisten fürchten sich eher vor Autofahrern, als vor der Löseaktion.
Die Polizei hat eine Protestaktion auf einer Straße in München abgesperrt. Die Aktivisten fürchten sich eher vor Autofahrern, als vor der Löseaktion.  © Sven Hoppe/dpa

Die Beamten in anderen Bundesländern gehen ähnlich vor wie die Münchner. "Ich wurde die vier Male tatsächlich sehr sanft und vorsichtig gelöst, und die Polizistinnen und Polizisten haben sich alle 30 Sekunden erkundigt, wie es geht, wie ich mich fühle, und ich solle doch Rückmeldung geben, wenn es weh tue", erzählt Aktivist Lars Schäfer, der schon in Hamburg, Flensburg und Hannover entsprechende Erfahrungen gesammelt hat.

Allerdings habe er auch Menschen gesehen, die so abgelöst worden seien, dass größere Hautstücke auf der Straße geblieben seien.

Deshalb werden zumindest in München die Löseaktionen immer gefilmt. "Denn in seltensten Fällen kommt es schon mal vor, dass die Leute beim Lösen leichte Verletzungen erleiden", räumt Trinkl ein.

In der bayerischen Landeshauptstadt sei bislang aber nur eine junge Frau betroffen gewesen, die sich zwei Mal am gleichen Tag mit derselben Hand festgeklebt habe.

Normalerweise bleiben nur Kleberreste auf der Hand zurück - und eine etwas empfindlichere Rötung. Beides vergeht in der Regel binnen eines Tages. Angst haben Hochenauer wie Schäfer deshalb weniger vor dem Ablösen durch die Polizei als vor Angriffen wütender Autofahrer - in Berlin fuhr einer einem sitzenden Aktivisten gar über den Fuß. Auch die juristischen Konsequenzen, die beispielsweise in Bayern von Geldstrafen bis hin zu Präventivhaft reichen können, treiben die 30- und 40-Jährigen um.

Dennoch sehen sie für sich keine Alternative. Für Hochenauer ist es eine moralische Verpflichtung, als privilegierter Westeuropäer für Klimagerechtigkeit einzustehen.

Für Schäfer ist es "tatsächlich ein Akt der Verzweiflung. Ich sehe diese Bilder und habe mein kleines Kind auf dem Arm und habe Angst davor, dass es eine ganz fürchterliche Welt wird, auf die wir da zurasen." Um dies möglichst noch zu verhindern, nehme er auch die Konsequenzen für die Klebeaktionen in Kauf.

Titelfoto: Matthias Balk/dpa

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