Deutsch-israelischer Philosoph: "Katastrophales Versagen" in Nahost
Leipzig - Der mit dem Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung ausgezeichnete deutsch-israelische Philosoph Omri Boehm (45, "Radikaler Universalismus") sieht Fehler auf allen Seiten im Nahost-Konflikt und hat "katastrophales Versagen" beklagt.
"Meine palästinensischen Freunde wissen, dass jeder, der das, was mein Land jetzt in Gaza tut, Selbstverteidigung nennt, meine Identität zutiefst beschämt, die jüdische und israelische", sagte Boehm am Mittwoch in seiner mit viel Applaus bedachten Dankesrede.
Zugleich nannte er es einen "moralischen Bankrott", wenn die Hamas-Massaker vom 7. Oktober als bewaffneter Widerstand bezeichnet würden.
Boehm verwies auf seine jüdisch-palästinensischen Freundschaften. "Freundschaft war immer der Test, der uns vor einem katastrophalen Versagen der Brüderlichkeit und dem Missbrauch abstrakter Ideen über bewaffneten Widerstand und Selbstverteidigung beschützt hat."
Zu Positionen aus Deutschland sagte Boehm: "Was ist mit der deutsch-jüdischen Freundschaft? Da, wo sie besteht, ist sie ein wahres Wunder. Eines, das mir besonders am Herzen liegt."
Boehm: "Solange Menschen nicht gleiche Rechte bekommen, solange wird es keinen Frieden geben"
Doch dieses Wunder müsse vor Entwertung geschützt werden. Es könne keine deutsch-jüdische Freundschaft existieren, "wenn sie in diesen dunklen Zeiten keinen Platz für die schwierigen Wahrheiten hat, die im Namen der jüdisch-palästinensischen Freundschaft gesagt werden müssen".
Boehm: "Wegen der Freundschaft muss die Wahrheit nicht geopfert werden, ganz im Gegenteil. Harte Wahrheiten müssen offen ausgesprochen werden. Denn wir sollen Freunde bleiben."
In den ARD-"Tagesthemen" warb Boehm erneut für seine Idee einer bundesstaatlichen Föderation auf dem Gebiet des heutigen Staates Israel und der palästinensischen Gebiete. Diese Idee könne nicht in naher Zukunft Realität werden. "Es ist ein Ideal des Friedens, das wir bewahren können."
Bei der Zwei-Staaten-Lösung gehe es oft darum, die Rechte einer Seite niederzumachen. In einer gemeinsamen bundesstaatlichen Ordnung müsse es "eine gewisse Trennung" geben, allerdings auch eine gemeinsame Verfassung mit gleichen Rechten. "Solange die Menschen nicht gleiche Rechte bekommen, solange wird es keinen Frieden geben."
Titelfoto: Hendrik Schmidt/dpa