Drogen-Trip im Livestream auf Facebook: "Er ist halt witzig"
Netz - Live dabei sein, wenn sich Menschen ihrem Rausch hingeben und hautnah miterleben, wie sich diese sogar in ihrem Drogen-Wahn selbst verletzen: Das ist auf Facebook in zahlreichen Gruppen zu sehen. Doch warum ist die Drogen-Verherrlichung so präsent und wer schaut sich das eigentlich an?
Er schlägt seinen Kopf immer wieder gegen die Wand, das Blut läuft ihm bereits herunter. Die vorliegenden Szenen sind verstörend, und doch sind zahlreiche interessierte Menschen Zuschauer der makabren Situation geworden - und zwar live. Der Mann im Video hat Drogen konsumiert und wird später sagen, dass er dies tat, um herauszufinden, ob er noch etwas fühlt.
Ein Reporterteam von Y-Kollektiv stellte sich die Frage, weshalb diese Streams so leicht für jedermann zugänglich sind und wer diese Personen eigentlich sind, die unter ihrem realen Namen auf Facebook harte Drogen befürworten. In einem YouTube-Video setzen sie sich mit diesen Fragen auseinander.
Schwierig, Zugang zu den besagten Livestream zu erlangen, ist es keineswegs. Man nehme sich eine private Facebook-Gruppe, stelle einen Antrag auf Zutritt und ZACK! ist man drin.
In den Gruppen findet man allerhand Drogen-Verherrlichung. Dabei ist nicht von weichen Drogen wie Cannabis die Rede, sondern von dem "harten Zeug", das abhängig macht: Heroin, Kokain und Crack. Zwar sagen die Gruppenregeln auf Facebook, dass man volljährig sein sollte, um die Inhalte zu sehen, doch überprüft wird das von keinem.
In einer der größten Pro-Drogen-Gruppe merkt man schnell das Motto der zahlreichen Mitglieder. Drogen sind geil, drauf sein ist ihre Lebenseinstellung. Die User, meist mit ihrem klaren Namen und Profilbild, posten Bilder, wie sie Drogen nehmen, früh, mittags, abends. Auf ihren öffentlichen Profilen lassen sich ihre Arbeitsorte finden, manchmal werden sogar Bilder von ihren Kindern gezeigt.
Der "Hexengott" wird online gefeiert - doch dabei möchte Stephan der Drogen-Hölle entfliehen
Die Gruppe verharmlost nicht nur Drogen. Sie motivieren sich immer weiter, mehr zu nehmen. Es ist ein Wettlauf zwischen ihnen herauszufinden, wer am längsten wach bleibt und welches Mittel dazu geführt hat.
Reporterin Carolin möchte mehr verstehen und nimmt Kontakt zu einzelnen Gruppenmitgliedern auf. Diese berichten ihr, dass sie meist sozial abgehängt gewesen seien und durch das Netzwerk endlich Anerkennung finden würden.
Schließlich stößt sie auf einen Mann namens Hexengott. Dieser streamt seine Trips, bei denen er oft die Droge Hexedron nimmt, woher auch sein Nickname stammt. In der Gruppe wird er meist gefeiert. Doch auch Mordäußerungen gegen ihn sind zu finden wie "Geh dich erhängen, du Meth-Süchtiger".
Carolin trifft den "Hexengott", der mit normalen Namen Stephan heißt und 33 Jahre alt ist. Er wohnt in einer völlig verwahrlosten Wohnung und zeigt sich freundlich, reflektiert, dann wieder verzweifelt und sehr selten sogar aggressiv.
Mit seinen Livestreams möchte er keine Menschen animieren, Drogen zu konsumieren, so sagt er.
Stephan hatte die Streams aus Langeweile begonnen. Er möchte seine Zuschauer davor warnen, Drogen zu nehmen. Der 33-Jährige gibt zu, dass er Redebedarf hat. Er hat kaum Kontakt zu seiner Familie, hat nur wenige Freunde. Dennoch ärgert er sich, dass Menschen Tipps und Informationen zu seinem Drogenkonsum haben möchte. Es ist eine Sucht, von der er nicht loskommt, keine, die er befürwortet.
Stephan ist berentet und lebt von rund 700 Euro im Monat. Er hat bereits Entzüge und Kliniken hinter sich. Geholfen haben die nicht.
Die Reportage verdeutlicht, dass laut dem Fachverband Sucht lediglich 22 Prozent nach einer Drogentherapie dauerhaft abstinent bleiben. Stephan weiß, dass er Hilfe benötigt. Er wünscht es sich. Doch die Sucht spielt gegen ihn.
Hinzu kommt, dass neben vielen Menschen, die ihn auffordern, sich Hilfe zu suchen, ebenso viele ihn dazu motivieren, mehr Drogen zu nehmen. Die Reporterin spricht mit diesen Usern. "Er ist halt witzig", sind deren Aussagen. "Er kennt schon seine Grenzen" oder "Das schreibt man halt so, um ein bisschen zu pushen". Die Zuschauer distanzieren sich von Stephan, wenn ihre Kommentare zur Sprache kommen. Sie lassen sich entertainen, sie sehen es witzig, bezeichnen Stephan sogar als "Unfall".
Carolin kontaktiert Facebook und fragt das Unternehmen, weshalb solche Videos auf der Plattform existieren dürfen. Ein Sprecher weist darauf hin, dass die Ermutigung zu Drogen verboten sind. Die Gruppe, in der auch der "Hexengott" gestreamt hat, wird noch am selben Tag nach dem Statement gelöscht.
Die Reporterin möchte Stephan helfen. Ein Termin zur Drogenbehandlung wird ausgemacht, abgesagt, ein neuer Termin steht fest. Für die Beteiligten kommt Hoffnung auf. "Eigentlich hasse ich die Hexe", sagt Stephan. "Sie kommt trotzdem immer wieder."
Wer selbst mit einer Drogen-Sucht zu kämpfen hat, kann sich hier bei der BZgA über Suchtberatungsstellen informieren. Die Bundesweite Sucht- und Drogenhilfe ist unter der Nummer 01805 - 313031 zu erreichen. Weitere Hilfe gibt es im Netz unter drugcom.de.
Titelfoto: Frank Leonhardt/dpa