Vitamin-Infusionen: Schneller Effekt oder überflüssige Geldmacherei?
Köln/Düsseldorf – Gerade in der kalten Jahreszeit schwören viele darauf: Vitamin-Infusionen. Direkt in die Vene verabreicht, soll der Wintermüdigkeit auf diesem Wege der Kampf angesagt werden. Doch warum werden sie als so gut angesehen und helfen sie überhaupt?
Immun-Booster-Infusionen sind seit einigen Jahren der absolute Renner. Ob nun Vitamin C, Vitamin D, Vitamin K, B12 oder Zink - die Bandbreite ist schier unerschöpflich. Das kann auch der Dermatologe und Schönheitschirurg Afschin Fatemi (51) bestätigen.
Vor mehr als 20 Jahren gründete er die Gruppe "S-thetic" mit inzwischen 13 Standorten in Deutschland. Dort hat man sich vor allem auf ästhetische Medizin spezialisiert. Schon damals, zu Beginn seiner Karriere, waren die Infusionen ein fester Bestandteil vieler Therapien.
"Damals gab es die Behandlungen allerdings nicht in dieser Bandbreite", erklärt Fatemi im Interview mit TAG24. "Sie wurden lediglich zur Vorbereitung auf bestimmte Operationen angewandt oder auch danach, um die Patienten wieder fit zu kriegen."
Sabine Schindler-Marlow von der Ärztekammer Nordrhein ergänzt, es gebe Hinweise darauf, dass die Gabe von Vitamin C die Genesungsrate in weniger schweren COVID-19 Fällen verbessern könne. Neben der medizinischen Relevanz sieht Fatemi seit vielen Jahren allerdings auch einen Anstieg bei der Zahl der Menschen, die sich und ihrer Gesundheit etwas Gutes tun möchten.
Laut dem 51-Jährigen ist es heutzutage eine Art Lifestyle, sich selbst zu optimieren. "Menschen wollen sich fitter, jünger, straffer machen", beobachtet Fatemi. Vor 20 Jahren habe ihn kein einziger Patient nach einer Infusion gefragt. Inzwischen geschehe das regelmäßig.
Vitamin-Überdosis kann gefährlich werden
Das Bewusstsein für die Wichtigkeit des eigenen Wohlbefindens habe es früher nicht gegeben. "Vielleicht hat man bei Haarausfall mal das Shampoo gewechselt", vermutet der Doktor. Dass einem aber auch nährstofftechnisch etwas fehlen könnte, war damals eher weniger Thema. Ganz anders heutzutage.
Mit 120 bis 200 Euro, je nach enthaltenen Bestandteilen, sind die Behandlungen in Fatemis Kliniken hingegen nicht ganz günstig. Das sei eine Summe an Geld, die die Menschen in der heutigen Zeit jedoch schneller ausgeben würden als noch vor wenigen Jahren, stellt der Schönheits-Doc fest.
Das Geschäft boomt. "Aber nur weil es cool ist, ergibt es keinen Sinn, sich jeden zweiten Tag eine Infusion verabreichen zu lassen", warnt der Experte. Es sei Vorsicht geboten.
So können zum Beispiel Vitamin A oder Vitamin D bei einer "Überdosis" zu Nierenschädigung, Leberschädigungen, Herzrhythmusstörungen, Bewusstlosigkeit und sogar zum Tod führen.
Vitamin C in Kombination mit Zink hingegen könne gerade in der Erkältungssaison ein guter Booster sein und sogar wöchentlich verabreicht werden. Bei einer akuten Erkältung sogar täglich.
Vitamin-Überdosis und Bioverfügbarkeit des Körpers beachten
Doch auch hier muss Fatemi Abstriche machen. Denn die Bioverfügbarkeit des Körpers spielt in Sachen Vitamin-Infusion eine große Rolle. Irgendwann kann der Körper die Vitamine nämlich schlichtweg nicht mehr aufnehmen.
Doch was ist, wenn ich das Geld für eine Behandlung nicht habe und auf Drogerie-Produkte zurückgreife? "Ich kann nicht sagen, dass Drogerie-Produkte unbedingt schlechter sind", so Fatemi.
Allerdings werden diese oral eingenommen. Ab diesem Zeitpunkt spiele die Beschaffenheit des Magendarm-Traktes eine wichtige Rolle. "Manche Teile werden im Magen vielleicht zerstört und kommen im Blut gar nicht in der Dosis an, in der sie gebraucht werden", erklärt der Arzt. "Intravenös sind die Vitamine über das Blut sofort verfügbar."
Generell sollte man allerdings nicht einfach so supplementieren, rät Fatemi von Küchen-Experimenten ab. Eine vorherige Blutuntersuchung sowie ein Gespräch mit Experten sei immer richtig.
Paul-Henry Duval ist einer von Afschin Fatemis Patienten. An seine erste Behandlung erinnert er sich positiv zurück: "Am nächsten Tag habe ich mich direkt wacher gefühlt und ich war seitdem auch nicht mehr krank." Er hoffe nun, dass ihn das Depot durch den Winter trägt.
Ernährungsexpertin sieht Vitamin-Infusionen kritisch
Kurz am Tropf hängen und sich für die kalten Monate wappnen? Ökotrophologin Astrid Donalies von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e. V. mit Sitz in Bonn steht den Kuren nicht uneingeschränkt positiv gegenüber.
"Als Teil einer präventiven Maßnahme, die mit hohen Kosten verbunden ist, sehen wir es kritisch", erläutert sie gegenüber TAG24. "Studien haben bisher nicht den Nachweis erbracht, dass die Folgen eines ungünstigen Ernährungsverhaltens durch Einnahme von Vitaminpräparaten oder anderen Nahrungsergänzungsmitteln ausgeglichen werden können."
Hinzu komme, dass Menschen in Deutschland generell nicht unter Vitaminmangel leiden. "Vitaminmangel und dadurch bedingte Krankheiten kommen in Deutschland äußerst selten vor. Deutschland ist daher kein Vitaminmangelland. Häufig dient die Einnahme von Vitaminpräparaten der Gewissensberuhigung beziehungsweise dem Ausgleich eines ungünstigen Ernährungsverhaltens", erklärt die Diplom-Ökotrophologin.
Sie warnt, genau wie Fatemi, vor einer Überdosierung, insbesondere wenn man neben den Kuren mit wichtigen Vitaminen und Nährstoffen angereicherte Lebensmittel zu sich nimmt.
Eine Ausnahme macht sie dennoch: Extremsportler, Personen, die schwanger werden wollen oder stillen, Säuglinge sowie Menschen, die sich wenig im Freien aufhalten, können für Infusionen oder Präparate infrage kommen.
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