Bei der Geburt: Kind erleidet Schlaganfall! So hilft die Mutter jetzt anderen
Radebeul - Einen Schlaganfall verbindet man mit einem fortgeschrittenen Alter. Tatsächlich trifft der tückische Blutstau im Gehirn vor allem Senioren. Aber nicht nur: Die kleine Anna-Lena (9) aus Radebeul erwischte es schon bei der Geburt. Und plötzlich war alles anders für die kleine Familie.
Über neun schwere, sorgenvolle Jahre lernte vor allem Mutter Kathleen Möckel-Reuthe (36) viel über Hilfsangebote und Therapien, die ihrer körperbehinderten Tochter das Leben heute erleichtern. Dieses Wissen will sie nun gerne mit anderen Betroffenen teilen.
Im November 2010 war es so weit. Die Wehen setzten ein. 24 Stunden dauerte die Geburt im Krankenhaus Dresden-Neustadt - nicht ungewöhnlich beim ersten Kind.
"Alles verlief auch scheinbar normal", sagt Kathleen Möckel-Reuthe heute. 49 Zentimeter groß bei 3000 Gramm Gewicht war ihr kleiner Wonneproppen - der ganze Stolz der jungen Eltern.
Erst am nächsten Tag fiel der Hebamme etwas auf: Die kleine Anna-Lena schien blau im Gesicht. Also kam sie an ein Sauerstoffmessgerät, das bedrohliche Werte anzeigte. Im weiteren Verlauf wurden die eher schlimmer als besser. Spätestens jetzt war klar: Etwas stimmte nicht. Aber was?
Natürlich waren die Eltern zu diesem Zeitpunkt tief beunruhigt. "Man kann das alles nicht begreifen", erinnert sich die Mutter zurück an jene kritische Zeit. "Man erwartet das höchste Glück, erlebt aber die Hölle auf Erden." Und funktioniert nur noch.
Langes Bangen um schwer krankes Kind
Drei schlimme Tage folgten, an denen Anna-Lena gefühlt an immer mehr Geräte angeschlossen wurde. Noch immer war nicht klar, was eigentlich passiert war. Festlegen wollten sich die Ärzte mit der Diagnose anfangs nicht, aber klar machen Gerüchte die Runde, reimt man sich etwas zusammen.
Das Herz vielleicht? Oder doch Herpes-Viren? Wann immer Mutter Kathleen etwas in Erfahrung bringen wollte - etwas, woran sie einen Funken Hoffnung knüpfen konnte -, las sie in den Blicken des Personals eher tiefe Sorge. Und wusste: Auch das Schlimmste kann passieren. Der totale Horror!
Dazu die Entscheidungen, vor die man plötzlich gestellt wird. Soll es diese Untersuchung noch sein? Oder jenes Medikament? Schließlich ist man nicht vom Fach. "Wir haben den Ärzten damals hundertprozentig vertraut", erinnert sich die Radebeulerin mit großer Dankbarkeit zurück.
Stets hätten die Mediziner auf Augenhöhe mit ihr und ihrem Mann gesprochen, beiden auch ein Zimmer zum Übernachten zur Verfügung gestellt. Dann schließlich, nach Tagen, wurde plötzlich zur Gewissheit, was Anna-Lena derart geschwächt hatte: ein Schlaganfall!
Ob der jetzt unmittelbar vor, während oder kurz nach der Geburt Teile von Anna-Lenas Gehirn geschädigt hatte, ist nicht mehr zu ermitteln. Für die Eltern war es jedenfalls ein Schock.
Kathleen Möckel-Reuthe: "Das glaubt man erst nicht." Klar - weil es so unwirklich klingt. Was folgte, waren die Selbstvorwürfe: Habe ich während der Schwangerschaft etwas falsch gemacht?
Selbstvorwürfe wurden professionell genommen
"Zum Glück hat mir das Krankenhaus eine Psychologin an die Seite gestellt", weiß die Mutter noch. Die habe sie mit den Worten aufgebaut, dass Anna-Lena sich gerade diese Familie ausgesucht habe, weil die das alles leisten könne. "Das hat mir total geholfen."
Sechs Aufenthalte in Rehakliniken hat Anna-Lena schon hinter sich. Ein aufgewecktes, fröhliches Mädchen. Mit der linken Hand kann sie nicht richtig greifen, ihr rechtes Bein zieht sie nach. Folgen der halbseitigen Lähmung. Doch sie läuft, spricht, denkt, lacht, schaut fern und verkleidet sich gern - eine ganz normale Neunjährige.
Zum Glück haben andere Hirnbereiche viele Funktionen des geschädigten Gewebes übernommen. Jeden Tag um 6 Uhr früh bringt ein Fahrdienst sie nun zu einer Dresdner Förderschule für körperbehinderte Kinder. Nachmittags kommt sie zurück. Ihre Mutter arbeitet wieder Vollzeit.
Klar, die Angst ist manchmal noch da. Auch, weil die Narbe im Gehirn mitunter "Fehlzündungen" sendet, wodurch dann epileptische Anfälle drohen. Kathleen Möckel-Reuthe: "Bis heute lasse ich meine Tochter nur ungern aus den Augen..." Welche Eltern könnten das nicht verstehen!?
Tipp: Familien, die ähnlich schwere Erfahrungen machen mussten, finden Hilfe beim "Schaki e.V.", Deutschlands größter Selbsthilfegruppe für Familien mit Schlaganfall-Kindern. Auch Kathleen Möckel-Reuthe steht dort Betroffenen gerne mit Rat und Tat zur Seite.
Beim Schlaganfall zählt jede Minute
Von einem Schlaganfall spricht man, wenn Teile des Gehirns nicht ausreichend mit Blut versorgt werden.
Dies kann zu Behinderungen wie beispielsweise Lähmungserscheinungen führen, aber auch schlimmstenfalls zum Tod.
Rund 270.000 Schlaganfälle werden jährlich in Deutschland registriert - die dritthäufigste Todesursache. Drei von vier Schlaganfällen treffen Personen im Rentenalter.
Ein erhöhtes Schlaganfallrisiko haben Raucher, Übergewichtige und Menschen mit Bluthochdruck.
Wichtig: Bei den kleinsten Anzeichen für einen Schlaganfall (Lähmung im Gesicht, unerklärliche Taubheit in Arm oder Bein, plötzliche Sprachstörung) sofort den Notruf 112 wählen - jede Minute zählt!