Alarm! Jetzt kommen die Tropenkrankheiten auch zu uns
Leipzig - Der vergangene Februar war der wärmste seit der Wetteraufzeichnung in Deutschland. Gute Nachrichten für Mücken, Zecken und Co., die problemlos über solche Winter kommen - und mit ihnen gefährliche Krankheiten. Und die Zukunftsaussichten sind eher düster. Ob West-Nil- und Dengue-Fieber oder Zikavirus: Mit dem Klimawandel bahnen sich tropische Krankheiten den Weg auch nach Sachsen. TAG24 sprach mit dem Leipziger Tropenmediziner Prof. Dr. Christoph Lübbert (53) darüber, was uns erwartet und wie wir uns schützen können.
TAG24: Prof. Lübbert, wie bedeutend ist der Klimawandel für die Verbreitung von Infektionskrankheiten?
Es gibt belastbare Daten und Studien, die davon ausgehen, dass den Menschen betreffende Infektionskrankheiten allein durch den Klimawandel um 50 bis 60 Prozent häufiger werden.
Allerdings muss man sagen, dass es auch viele andere Gesundheitsprobleme durch den Klimawandel geben wird. Allein die Zahl der direkten Hitzetoten durch Herz-Kreislauf-Versagen wird um 370 Prozent steigen, wenn die durchschnittliche globale Erwärmung um 2 Grad Celsius nach oben geht, wonach es derzeit aussieht.
TAG24: Was begünstigt der Klimawandel?
Zum einen vermehren sich viele Krankheitserreger durch Wärme viel schneller. Zum anderen verdauen Mücken dann schneller und bekommen wieder Hunger und müssen häufiger stechen. Dadurch steigt auch das Infektionsrisiko. Außerdem vermehren sich Mücken zum Beispiel nach Starkregenereignissen in warmen Monaten besonders stark.
TAG24: Merken wir in Sachsen schon erste Auswirkungen?
Gerade hier im Raum Leipzig hatten wir erste Fälle vom West-Nil-Fieber. 2018 gab es in Halle/Saale den ersten toten Vogel im Zoo, bei dem das Virus nachgewiesen wurde, dann 2019 den ersten Patienten, der bei uns ins Klinikum St. Georg kam, und 2020 den ersten Toten am Uniklinikum.
Dann haben wir auch bei den von Zecken übertragenen Krankheiten, vor allem die FSME, eine klimatisch bedingte Ausbreitungstendenz nach Norden. Möglicherweise wird auch die Borreliose häufiger.
Interview mit Tropenmediziner: Immer mehr Infektionskrankheiten
TAG24: Gibt es noch andere Überträger außer Mücken und Zecken?
Mücken und Zecken sind ein großer Teil der Geschichte. Aber auch über Lebensmittel und Wasser übertragene Krankheiten, also infektiöse Durchfallerkrankungen, profitieren weltweit vom Klimawandel. Die Cholera beispielsweise breitet sich derzeit in Afrika massiv aus. Solche Fallzahlen hatten wir seit Jahrzehnten nicht mehr.
Und im Brackwasser der Ostsee werden, wenn über einen längeren Zeitraum die Wassertemperatur über 20 Grad liegt, Bakterien wie Vibrionen begünstigt. Diese lösen Hautweichgewebsinfektionen aus, besonders bei Zuckerkranken.
TAG24: Nun dringen aber auch tropische Mücken und Zecken mit Erkrankungen im Gepäck zu uns vor.
Ja, das ist richtig. Ein gutes Beispiel ist die Hyalomma-Zecke, auch Riesen-Zecke genannt. Die ist vermutlich über Zugvögel zu uns gekommen und beginnt jetzt Fuß zu fassen. Sie birgt die Gefahr, das hämorrhagische Krim-Kongo-Fieber zu übertragen, das schlecht zu behandeln ist und schlimmstenfalls eine Sterblichkeitsrate von 30 Prozent hat.
TAG24: Und bei den Mücken?
Die Asiatische Tigermücke ist vermutlich mit einer Ladung Autoreifen vor mehr als 15 Jahren aus Asien nach Europa gekommen. Man kann sehen, dass sich diese Mückenart sehr effizient entlang von Autobahnen ausbreitet. Das spricht dafür, dass sie zum Beispiel den Kühlergrill von Autos wie den Personennahverkehr benutzt. Diese Mücke überträgt Dengue-Fieber, vor allem aber auch das Chikungunya-Fieber. Zudem kann sie West-Nil- und Zikaviren übertragen.
Die Tigermücke hat sich jetzt schon im Oberrheingraben festgesetzt und es ist davon auszugehen, dass sie sich weiter nach Norden ausbreitet.
"Der Schutz vor Zecken und Mücken wird wichtiger!"
TAG24: Wie schlimm wird es?
Wir sind zum Glück nicht wehrlos. Das ist nicht wie eine Schicksalswelle, die uns alle vernichtet. Und die ganz schlimmen Sachen mit hohen Sterblichkeitsraten wie Ebola- und Marburg-Fieber werden weder durch Zecken noch Mücken übertragen und kommen nicht so einfach zu uns. Und auch die Malaria werden wir uns vom Leibe halten, solange unser Gesundheitssystem gut funktioniert.
TAG24: Wie sieht es mit Impfungen gegen diese "neuen" Krankheiten aus?
Das waren viele schlechte Nachrichten, aber ich möchte betonen, die tolle Nachricht ist, dass wir gegen viele dieser Erkrankungen in den letzten Jahren neue Impfstoffe bekommen haben. Gegen das Chikungunya-Virus gibt es einen neuen Impfstoff, dessen Zulassung wahrscheinlich dieses Jahr auch in Europa erfolgen wird. Wir haben seit letztem Jahr auch einen guten Impfstoff gegen Dengue-Fieber. Wir haben schon lange zwei gute Impfstoffe gegen FSME. Aber das Angebot wird viel zu wenig in Anspruch genommen. Die Impfskepsis macht mir wirklich Sorgen!
TAG24: Sollte man sich jetzt schon impfen lassen?
Gegen FSME unbedingt! Bei Chikungunya und Dengue braucht man eine qualifizierte und differenzierte ärztliche und vor allem reisemedizinische Beratung, weil die Impfung nicht für jeden geeignet ist. Das wäre jetzt eher Panikmache, diese Impfungen generell zu empfehlen.
TAG24: Gegen West-Nil zum Beispiel gibt es aber keinen Impfstoff. Wie kann man sich noch schützen?
Der Schutz vor Zecken und Mücken wird wichtiger! Man muss einfach aufpassen, dass man weniger gestochen wird. Also lange Kleidung und wirksame Repellentien, also chemische Abwehrstoffe, wenn Mücken und Zecken unterwegs sind.
Titelfoto: Montage Dirk Knofe ; 123rf/megsopki