Handfeste Tipps gegen Angst: "Sich mitzuteilen, ist eines der besten Ventile"
Leipzig - Die Gefühle fahren bei vielen Menschen in diesen Tagen Achterbahn. Die Wucht der vierten Corona-Welle und eine Flut von schlechten Nachrichten aus Gesellschaft, Wirtschaft, Klimaforschung und Rentenpolitik zieht so manchem den Boden unter den Füßen weg. Überall hört man Klagen, dass der Seelenspeck fast verzehrt und die persönlichen Akkus leergepowert sind.
Wie am besten mit all diesen Emotionen und Informationen umgehen und die lähmenden Ängste überwinden? Hier folgen handfeste Tipps und ein Gespräch mit der Psychologin Julia Marie Hufeld (32) vom Universitätsklinikum Leipzig. Sie arbeitet in der Abteilung für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie und ist Expertin für positive Psychologie.
TAG24: Frau Hufeld, viele Menschen sagen, dass die 4. Corona-Welle sie jetzt psychisch an den Rand ihrer Belastbarkeit führt. Sie fühlen Angst, Resignation, Hilflosigkeit und mancher auch Wut und Zorn. Haben Sie dafür Verständnis?
Julia Maria Hufeld: Dafür habe ich vollstes Verständnis. Nach einer so langen Zeit der Einschränkung und Ungewissheit sind auch diese negativen Gefühle vollkommen nachvollziehbar und menschlich. Aufpassen sollten wir dennoch, dass derartige Gefühle, insbesondere Hilflosigkeit und Angst, nicht langanhaltend und intensiv vorhanden sind. Andernfalls erhöht sich das Risiko für zwischenmenschliche und innere Konflikte, die langfristig zu ernsthaften Erkrankungen führen können.
TAG24: Tun sich die Menschen damit selbst einen Gefallen, diese Gefühle offen gegenüber anderen zu zeigen und anzusprechen?
Hufeld: Sich mitzuteilen, ist in meinen Augen mitunter eines der besten Ventile, um negativen Gefühlen, wie Ärger etwas Luft zu machen. Auch andere sind ängstlich oder verärgert und haben die Pandemie satt. Durch ehrliche Gespräche merken wir, dass wir mit all dem nicht allein sind. Nicht nur das Gemeinschaftsgefühl, das dabei entstehen kann, ist wohltuend. Auch der gemeinsame Austausch gibt uns die Möglichkeit, Dinge aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten und somit etwas Abstand zu den negativen Gefühlen zu gewinnen. Jedoch sollte darauf geachtet werden, dass sich die Situation nicht hochschaukelt.
TAG24: Wo negative Gefühle sind, ist auch die Kränkung nicht weit.
Hufeld: Ja. Bevor es zu hitzig wird, sollte man rechtzeitig die Gesprächssituation verlassen. Ein weiteres sehr hilfreiches Ventil ist körperliche Verausgabung. Wird zum Beispiel viel Wut verspürt, reicht oft schon eine schnelle Runde Laufen - um den Block oder im naheliegenden Park, um einmal richtig Dampf abzulassen.
TAG24: Wie kann man es schaffen, aus dem Karussell negativer Gefühle und Gedanken auszusteigen?
Hufeld: Negative Gedanken und Gefühle sind nichts Verwerfliches. Gefühle und Gedanken anzunehmen, diese zu akzeptieren egal ob sie positiver oder negativer Natur sind, kann der erste Schritt aus dem Karussell sein. Versuchen wir unsere Gedanken und Gefühle zu unterdrücken, fokussieren wir uns auf sie und schenken ihnen unnötig viel Aufmerksamkeit, sodass sie immer präsenter werden.
Nehmen wir sie an, schaffen wir etwas Abstand zu ihnen und ermöglichen damit Raum für positive Gedanken.
TAG24: Hilft es, "Stopp" zu sagen, zu diesen unerwünschten Gedanken und Gefühlen?
Hufeld: Ja, unbedingt. Zudem sollte man sich fragen, was sie einem bringen. Das kann uns helfen, Gedankengänge zu unterbrechen und in neue konstruktive Gedanken umzuformulieren. Legen wir unseren Fokus auf das, was gerade gut läuft und nicht auf das was uns fehlt, kommen die positiven Gefühle von fast ganz allein. Natürlich kann das auch noch unterstützt werden. Zum Beispiel durch Meditation, Dankbarkeit und freudvolle Aktivitäten.
TAG24: Gibt es weitere Möglichkeiten das Gedankenkarussell zu verlassen?
Hufeld: Ja. Eine weitere Möglichkeit ist es, den inneren Kritiker etwas zur Ruhe zu bringen, der ständig damit beschäftigt ist, uns und andere zu bewerten. Kommt es mal wieder zu schwierigen Situationen, kann man zur Abwechslung versuchen, die Situation schlichtweg wertfrei wahrzunehmen, anstatt diese auf/abzuwerten oder zu moralisieren.
TAG24: Der Advent ist der Monat der Heimlichkeiten und Vorfreude aufs Weihnachtsfest. Was raten Sie jenen, bei denen angesichts der pandemischen und gesellschaftlichen Lage keine Vorfreude aufkommen möchte? Sollten sie Weihnachten ignorieren und ausfallen lassen?
Hufeld: Der Geruch von frisch gebackenen Plätzchen oder der Anblick der weihnachtlichen Lichter in dieser grauen Jahreszeit wird mit Sicherheit bei einigen ein wohliges und vertrautes Gefühl aufkommen lassen. Die aktuelle Lage lässt sich leider nicht ändern, die Art im Umgang damit aber schon. Vielleicht einfach den Weihnachtsmarkt nach Hause holen, indem man gebrannte Mandeln und Glühwein selber macht und im kleinen Kreis genießt. Oder ein langer Winterspaziergang, um den Kopf frei zu kriegen und sich auf eine heiße Schokolade in den warmen vier Wänden zu freuen.
Titelfoto: Montage: privat, Imago Images / ITAR-TASS