Bloggerin über fehlende Wertschätzung bei Lebensmitteln: "Nachhaltige Ernährung soll keine Diät sein!"

Hamburg/Regensburg - Verena Hirsch (28) steuert mit Tipps, Ideen und Rezepten auf ihrem Blog "allmydeer" und ihrem gleichnamigen Instagram-Kanal schon seit einigen Jahren der Lebensmittelverschwendung entgegen. Mit der Liebe zu Lebensmitteln ist sie aufgewachsen. Schon in den frühen Kinderschuhen hat sie auf dem Bio-Bauernhof ihrer Eltern gelernt, schrumpelige Kartoffeln wertzuschätzen und Reste als Chance zu sehen, etwas Neues daraus zu machen. Mit ihrem ersten Kochbuch "Deine Küche kann nachhaltig" will sie einen Wegweiser für mehr Wertschätzung und weniger Verschwendung schaffen. Ganz ohne erhobenen Zeigefinder, dafür mit umso mehr Inspiration.

Verena Hirsch ist auf einem Bio-Bauernhof in Niederbayern aufgewachsen. Und auch wenn ihr ihre Herkunft früher peinlich war, hat sie ihre geerbte Wertschätzung für Lebensmittel nie verloren.
Verena Hirsch ist auf einem Bio-Bauernhof in Niederbayern aufgewachsen. Und auch wenn ihr ihre Herkunft früher peinlich war, hat sie ihre geerbte Wertschätzung für Lebensmittel nie verloren.  © Verena Müller

TAG24: Verena, Du sagst, wir haben den richtigen Umgang mit Lebensmitteln verloren. Was genau meinst Du damit?

Verena Hirsch: Ich bin auf einem Bio-Bauernhof aufgewachsen und für mich war es selbstverständlich, dass man das Beste aus allen Lebensmitteln herausholt. Und erst als ich dann von zu Hause ausgezogen bin, habe ich gemerkt, dass nicht jeder diese Selbstverständlichkeit hat.

Dadurch, dass wir unsere Lebensmittel abgepackt, vorgefertigt und serviert bekommen, und uns anscheinend keine Gedanken mehr darum machen müssen, ist die Wertschätzung verloren gegangen.

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TAG24: Was ist in Deinen Augen das Wichtigste, was sich in unserem Umgang mit Lebensmitteln dringend ändern muss?

Hirsch: Für mich gibt es da zwei Ebenen: einmal die moralische und die Klima-nachhaltige. In anderen Erdteilen gibt es nicht genug zu essen und wir schmeißen Sachen weg, die eigentlich noch gut sind. Allein in Deutschland sind das jährlich 12 Millionen Tonnen. Weltweit betrachtet ist die Lebensmittelverschwendung - wenn diese ein Land wäre - der drittgrößte CO2-Emittent nach China und den USA. Und das allein ist schon eine Hausnummer, ohne da jetzt noch tiefer hineinzugehen.

TAG24: Oft heißt es, sich nachhaltig zu ernähren sei zu kompliziert, man müsse auf zu viel verzichten.

Hirsch: Selbst wenn jetzt einer sagt, die nachhaltige Ernährung ist mir zu kompliziert, ist es - glaube ich - nicht zu viel verlangt, dass man die Lebensmittel, die man kauft, einfach auch isst und möglichst wenig davon wegschmeißt.

Das ist eigentlich der große gemeinsame Nenner und wenn wir das allein schon schaffen würden, wäre schon mega viel gewonnen. Und da brauchen wir noch gar nicht von bio, regional oder saisonal sprechen.

Verena Hirsch: "Wir verlieren uns in Nebenkriegsschauplätzen und das Entscheidende fällt hinten runter!"

"Deine Küche kann nachhaltig" erscheint am 5. Oktober und ist das erste Buch der Bio-Bloggerin.
"Deine Küche kann nachhaltig" erscheint am 5. Oktober und ist das erste Buch der Bio-Bloggerin.  © BLV-Verlag

TAG24: Es ist sehr interessant, dass Du als erstes von Wertschätzung sprichst. In all den Diskussionen um nachhaltige Ernährung wie z.B. vegan oder nicht, unverpackt oder verpackt etc., stößt man nicht oft auf dieses Wort.

Hirsch: Genau diese Diskussionen waren auch einer der Gründe, warum ich mein Buch geschrieben habe. Was ist denn jetzt eigentlich besser, die Bio-Gurke in Plastik oder unverpackt aus der Region? Wir verlieren uns da in so Nebenkriegsschauplätzen und das entscheidende Große und Ganze fällt hinten runter.

Die Riesenstellschrauben, an denen eigentlich alles dranhängt, sind, die Lebensmittelverschwendung so gut es geht zu vermeiden und den Fleischkonsum zu reduzieren, beziehungsweise, ich sage immer, so pflanzlich wie möglich zu essen.

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TAG24: Du hast bereits einen Blog und ein Instagram-Kanal, wo Du regelmäßig Rezepte und Tipps zu diesen Themen postest. Warum hast Du Dich jetzt noch für ein Buch entschieden?

Hirsch: Die Idee war, dass ich all meine Ideen und Tipps einmal zusammentrage. Vieles findet man bestimmt auch schon auf meinem Blog, Insta-Kanal oder auch Newsletter, aber es ist doch sehr zerstreut. Ich wollte etwas Analoges, Haptisches machen, was man zu Hause in der Küche stehen hat und in dem man immer wieder nachschlagen kann. Und auch etwas, was für alle zugänglich ist. Buchläden gibt es überall und auf Instagram geht vieles - selbst wenn man mir folgt - in der Masse an Content viel zu schnell wieder verloren.

Meine Motivation war es auch, einen niedrigschwelligen Einstieg zu bieten für Leute, die zwar ein Interesse haben, aber nicht wissen, wo sie ansetzen sollen. Nachhaltige Ernährung soll nicht wie Diät sein, sondern ein Wegweiser, der sich an alle individuellen Bedürfnisse anpasst.

Verena Hirsch über nachhaltige Ernährung: "Nutze das, was du hast!"

Die besten Ideen kommen Verena in ihrer Küche, ein Tipp von ihr: Ein schönes Gewürzregal oder besseres Licht können schon dafür sorgen, dass man sich in seiner eigenen Küche wohler fühlt und mehr Spaß am Kochen hat.
Die besten Ideen kommen Verena in ihrer Küche, ein Tipp von ihr: Ein schönes Gewürzregal oder besseres Licht können schon dafür sorgen, dass man sich in seiner eigenen Küche wohler fühlt und mehr Spaß am Kochen hat.  © Verena Müller

TAG24: In Deinem Buch findet man nicht nur Rezepte, sondern auch Tipps zur Lagerung und Organisation. Wo fängt nachhaltige Küche an?

Hirsch: Mein Leitsatz ist: Nutze das, was du hast. Fang bei deinen Lebensmitteln zu Hause an und nicht mit der Überlegung, welche Lebensmittel kann ich kaufen, um mit der neuen Ernährung anzufangen. In meinem Buch habe ich extra Rezepte für die Verarbeitung von Vorräten. Jeder kennt diesen Gedanken 'Ich habe gar nichts mehr zu Essen zu Hause', aber eigentlich ist der Schrank voll, man weiß nur nicht, was man damit machen soll.

Weitere Schritte könnten dann sein: Wie kann ich meine Einkäufe besser strukturieren, hilft mir ein Mahlzeiten-Plan und wie gehe ich einkaufen, bis hin zu wie ordne ich meine Lebensmittel richtig und bin ich überhaupt gerne in meiner Küche? Spaß haben ist auch ein Faktor bei der nachhaltigen Ernährung.

TAG24: Ist logisch, man denkt aber eher selten darüber nach.

Hirsch: Es soll niemandem etwas vorgeschrieben werden. Jenseits der zwei bereits angesprochenen Stellschrauben kann jeder selbst entscheiden, was einem wichtig ist. Will ich vielleicht selber Gemüse anbauen oder Plastik reduzieren? Das ist ja auch das Schöne daran, dass man sich selbst ausprobieren und gucken kann, was einem Spaß macht.

Es geht ja auch nicht darum, dass niemals wieder etwas weggeworfen werden darf. Bei mir werden Sachen ja auch schlecht. Es geht um eine andere Betrachtungsweise und auch das Gefühl, mit dem ich Sachen wegwerfe. Wenn ich es schade finde, denke ich beim nächsten Mal vielleicht dran, nicht mehr so viel zu kaufen oder mehr darauf zu achten.

TAG24: Dürfen oder nicht dürfen ist ein gutes Stichwort für das Thema "auswärts essen". Du widmest diesem Thema ein eigenes Kapitel in Deinem Buch.

Hirsch: Natürlich kann man genauso bei einer nachhaltigen Ernährung essen gehen. Der simpelste Punkt, den man ändern kann, ist, vorher zu überlegen, wie viel Hunger man eigentlich hat und dann dementsprechend bestellt. Und natürlich, wenn man es doch nicht schaffen sollte, seine Reste mitnimmt und diese am nächsten Tag verwertet. Ich habe tatsächlich meist auch schon eine Box für solche Fälle dabei.

Das ist der eine Punkt, der andere ist, sich nicht zu geißeln und wirklich auf seinen Körper zu hören und auch das zu bestellen, worauf man Lust hat. Genuss haben wir teilweise auch schon verlernt. Wirklich genießen, Neues probieren und genau auf den Geschmack zu achten, ist für mich auch Teil der Wertschätzung.

Misserfolge in der Küche nicht als Fehler, sondern als neue Grundzutat sehen

Wenn wir wieder anfangen würden, unsere Lebensmittel wertzuschätzen, wäre schon ein großer Schritt getan, so Verena.
Wenn wir wieder anfangen würden, unsere Lebensmittel wertzuschätzen, wäre schon ein großer Schritt getan, so Verena.  © Verena Müller

TAG24: Resteverwertung ist ein großes Thema Deines Buches und daraus sind auch Rezepte wie Salat-Topping aus Chipsresten, Mayonnaise aus Gurkensud und Eiscreme aus tiefgekühltem Obst entstanden: Wie kommst Du auf Deine Ideen?

Hirsch: Vieles kommt tatsächlich spontan beim Kochen oder im Alltag. Ich habe oft Reste zu Hause und probiere dann herum, was man damit machen könnte. Ich habe zum Beispiel ein Rezept für Müsli-Kekse, weil mein Freund täglich Müsli frühstückt und einmal nicht aufgegessen hat.

Ein anderes Mal ist mir ein Kuchen nicht geglückt und ich habe aus dem Rand - nur die Füllung war misslungen - einen Apfel-Crumble gemacht. Wichtig ist, solche Sachen nicht als Fehler oder Versagen - darin sind wir oft ja sehr gut - sondern als neue Grundzutat zu sehen.

TAG24: Laden Deine Rezepte auch zum Experimentieren ein?

Hirsch: Dazu will ich sogar motivieren! Viele denken, sie müssten sich 1:1 an ein Rezept halten, aber das ist oft ja nur ein Anstoß. Deswegen gibt es in meinem Buch auch die Zutaten-Tausch-Liste, wo ich ganz viele Ideen gebe, wie man Rezept-Zutaten ersetzten kann, um nichts Neues kaufen zu müssen und - da sind wir wieder bei "Nutze das, was du hast" - seine Vorräte aufzubrauchen.

"Deine Küche kann nachhaltig" erschien im BLV-Verlag und ist ab dem heutigen Donnerstag, 5. Oktober, überall erhältlich, wo es Bücher gibt.

Titelfoto: Verena Müller

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