Prads-Haute-Bléone (Frankreich) - Der Germanwings-Absturz 2015 mit 150 Toten zählt zu den schlimmsten der deutschen Luftfahrt. In der breiten Öffentlichkeit gilt Co-Pilot Andreas Lubitz (†27) aufgrund vieler Indizien als Massenmörder. Eine rechtlich bedenkliche Vorverurteilung, findet der von der Familie bestellte Gutachter, mit dem TAG24 gesprochen hat.
Dass sich Andreas Lubitz ins Cockpit einschloss, den Airbus A320 vorsätzlich in die französischen Alpen steuerte und dadurch 149 weitere Personen in den Tod riss, ist laut Tim van Beveren (63) "eine Hypothese, aber dafür gibt es keinen Beweis", sagt er zu TAG24.
Der auf Luftfahrt spezialisierte Journalist ist überzeugt: "Hätte Andreas Lubitz überlebt und wäre es zu einem Prozess gekommen, wäre dieser aus Mangel an Beweisen in fünf Minuten beendet." Mord setze Vorsatz voraus, so der Flugunfall-Experte. "Bis dieser nicht bewiesen ist, gilt die Unschuldsvermutung."
Medial wurde er kritisiert, den erweiterten Suizid infrage zu stellen, gleichzeitig aber kein alternatives Unfallszenario aufzuzeigen. "Das ist nicht meine Aufgabe", schreibt er auf seiner Homepage.
Aufgrund fehlender Belege und Beweise sei eine derartige Ausarbeitung auch gar nicht möglich, da wesentliche Dinge wie der Cockpit-Voice-Recorder und der Flugdatenschreiber den französischen Behörden vorenthalten seien. Die Entwicklung neuer Theorien sei daher "unseriös und völlig unangebracht".
Germanwings-Absturz mit 150 Toten: Gab es eine Fehlfunktion an der Cockpit-Tür?
Tim van Beveren war von Familie Lubitz angeheuert worden. Er durchforstete 16.000 Seiten der Ermittlungsakte der Düsseldorfer Staatsanwaltschaft. Das Ziel: Ungereimtheiten an der verbreiteten Annahme eines bewusst herbeigeführten Absturzes des in psychologischer Behandlung befundenen Co-Piloten finden.
Und er wurde fündig. In seinem Gutachten schreibt der 63-Jährige, dass es scheinbar keine Untersuchung hinsichtlich der Funktionstüchtigkeit des Keypads an der Cockpit-Tür gegeben habe. Denn aus Kreisen der Germanwings habe es Hinweise auf eine frühere Fehlfunktion gegeben.
Johann Reuß, damaliger Untersuchungsleiter der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung, behauptet in der WDR-Doku "Der Germanwings-Absturz - Chronologie eines Verbrechens": "Wenn die Tür nicht aufgeht, kann es nur so sein, dass die Türverriegelung von innen blockiert worden ist."
Dafür werde ein Schalter in eine Lock-Position gebracht. "Eine Fehlfunktion hat es nicht gegeben", sagt Reuß.
Klopfgeräusche und Rufe wurden nicht erwidert - weil Andreas Lubitz bewusstlos war?
Die Ermittler sagen, dass Patrick Sondenheimer (†34) bei der missglückten Rückkehr ins Cockpit einen Code eingab, der die Tür nicht öffnete. Auf dem Voice-Rekorder seien Klopfgeräusche und Rufe zu hören gewesen - ohne Reaktion.
Das könne an einer Bewusstlosigkeit von Andreas Lubitz gelegen haben, sagt van Beveren. Dagegen spräche laut Staatsanwaltschaft, dass es bereits auf dem Hinflug Veränderungen der Flughöhe gab, als Sondenheimer ebenfalls gerade in der Kabine war.
Ausgerechnet zu dem Zeitpunkt, als der Pilot auch auf dem Rückflug nicht im Cockpit saß, wurde die Flughöhe erneut auf 100 Fuß eingestellt - deutlich unter der Höhe der Berge. Für die Behörden sind alle Indizien zusammengefasst zu viele, um von einem Zufall auszugehen. Sie sind sicher: Andreas Lubitz wollte sein Leben mithilfe des Absturzes eines Passagierflugzeuges beenden.
Obwohl in seinen sterblichen Überresten auch Rückstände von Psychopharmaka gefunden wurden und der 27-Jährige nachweislich einige dazu passende Arztbesuche gehabt haben soll, betonte sein Vater Günter Lubitz 2017: "Unser Sohn litt zum Zeitpunkt des Absturzes nicht an Depressionen."
Angehörige haben das Luftfahrtbundesamt und damit die Bundesrepublik Deutschland verklagt, um die Frage der Verantwortung des zehn Jahre zurückliegenden Vorfalls zu klären. Ein Prozessstart ist noch nicht terminiert.
Streaming-Hinweis: Die vierteilige Doku "Der Germanwings-Absturz - Chronologie eines Verbrechens" steht exklusiv in der ARD-Mediathek zum Abruf bereit.
Normalerweise berichtet TAG24 nicht über möglicherweise (erweiterte) Suizide. Da der Fall aber von großem öffentlichen Interesse war und ist, hat sich die Redaktion entschieden, ihn doch zu thematisieren.
Solltet Ihr selbst von Selbsttötungsgedanken betroffen sein, findet Ihr bei der Telefonseelsorge rund um die Uhr Ansprechpartner, natürlich auch anonym. Telefonseelsorge: 08001110111 oder 08001110222 oder 08001110116123.