Vater verteidigt Massenmörder-Sohn: "Total geschmacklos und makaber!"
Prads-Haute-Bléone (Frankreich) - Nach Auffassung zahlreicher Experten und nahezu lückenlos belegbar ist Andreas Lubitz (†27) alleinverantwortlich für den Absturz der Germanwings-Maschine 9525, bei dem er vor zehn Jahren 149 weitere Menschen in den Tod riss. Lubitz' Familie und Verschwörungstheoretiker sind anderer Meinung.
"Ich kann nachvollziehen, dass die Angehörigen nach Erklärungen und Schuldigen suchen", sagt Unfalluntersucher Thomas Kostrzewa in der WDR-Doku "Der Germanwings-Absturz - Chronologie eines Verbrechens".
Das bestätigt auch Familie Voß aus Leipzig, die ihren Sohn Jens (†37) verlor. "Man will Klarheit haben, was passiert ist, und klipp und klar dargestellt, der und der ist verantwortlich. Eigentlich liegen die Fakten doch ziemlich klar auf der Hand."
Womit sie recht hat. Flugdatenschreiber und Stimmenrekorder enthielten trotz der enormen Zerstörung verwertbare Aufzeichnungen, die nahezu keinen Zweifel am Ablauf des nur wenige Minuten andauernden Geschehens zulassen.
Es ist klar dokumentiert, dass die Flughöhe schon auf dem Weg nach Barcelona - vermutlich testweise - manuell auf 100 Fuß eingestellt wurde. Ebenfalls zu einem Zeitpunkt, als Lubitz allein im Cockpit war.
Auf dem Rückflug nach Düsseldorf setzte er sein Vorhaben dann um, nutzte die Gelegenheit, als Kapitän Patrick Sondenheimer in der Kabine war und Lubitz ihn nicht wieder ins Cockpit ließ - trotz minutenlangen Versuchen durch Klopfzeichen, Rufen und eine Kontaktaufnahme mittels einer Sprechverbindung ("Intercom").
Andreas Lubitz' Vater: "Unser Sohn litt nicht an Depressionen!"
Auch Lubitz' psychische Probleme spielten bei der Ursachenforschung eine große Rolle. Nachweislich befand er sich in einschlägiger Behandlung, hatte für den Zeitraum des Absturzes zwei Krankschreibungen, die er seinem Arbeitgeber nicht abgab. Auch wurden in seinen sterblichen Überresten Rückstände von Psychopharmaka gefunden, dazu Online-Suchanfragen zu Suizid-Möglichkeiten und zur Verriegelung einer Cockpit-Tür.
"Es kann doch nicht sein, dass man sagt, er war ein geisteskranker Pilot und hat 149 Menschen umgebracht", sagt Klaus Radner, Vater der verstorbenen Maria Radner. "Der war ja nicht allein auf der Welt. Der hatte ein Umfeld, das Informationen über ihn hatte, und das hat nicht reagiert. Ich will, dass jemand Verantwortung übernimmt - und nicht allein der Mörder."
Der Vater des Todespiloten, Günter Lubitz, hatte bei einer Pressekonferenz am zweiten Jahrestag des Absturzes mitgeteilt, "dass unser Sohn nicht an Depressionen litt". Radner fragt sich: "Was sollten dann die 40 Besuche bei den Ärzten? Da kann man doch nicht sagen, der war topgesund."
Vollkommen menschlich, findet Staatsanwalt Christoph Kumpa. "Man muss sich in deren Lage versetzen: Der geliebte Sohn soll 149 Menschen umgebracht haben. Wie soll eine Familie das akzeptieren?" Gleichzeitig habe er "überhaupt keine Zweifel", dass der bewusst herbeigeführte Suizid zu dem Absturz geführt hat.
Aussagen von Günter Lubitz "total geschmacklos und makaber"
Familie Voß bezeichnet den Auftritt von Günter Lubitz als "total geschmacklos und makaber. Man konnte sich gar nicht mehr auf seine eigene Trauer konzentrieren, weil man so abgelenkt und wütend war."
Zu Günter Lubitz' Aussagen gesellen sich allerhand Verschwörungstheorien. Sie reichen von einer Fernsteuerung vom Boden über den Abschuss durch US-Militär zu einer Bewusstlosigkeit von Lubitz und der Behauptung, nicht Lubitz, sondern Sondenheimer habe im Cockpit gesessen.
"Es gibt nicht die geringsten Anzeichen oder forensischen Beweise für eine Bewusstlosigkeit oder Handlungsunfähigkeit von Andreas Lubitz zu diesem Zeitpunkt", sagt Luftfahrt-Journalist und Buchautor Patrick Huber zu TAG24.
"Manche Personen [...] sind der festen Überzeugung, dass ausschließlich technische Probleme den Crash verursacht hätten und der Co-Pilot das Bauernopfer einer riesengroßen politischen Verschwörung sei, an der Dutzende Flugunfallexperten, Piloten und Techniker [...] sowie (Rechts-)Mediziner und viele mehr mitgewirkt hätten", schreibt er in seinem Buch "Germanwings Flug 9525 - Absturz in den französischen Alpen".
Andreas Lubitz, da ist sich Huber sicher, habe "klar und berechnend gehandelt und ein ganz bestimmtes Ziel, seinen erweiterten Suizid, verfolgt", äußert er sich gegenüber TAG24.
Angehörige haben Bundesrepublik Deutschland verklagt
Noch steht aus, wann der Prozess am Landgericht Braunschweig gegen das Luftfahrtbundesamt und damit die Bundesrepublik Deutschland startet.
Rechtsanwalt Julius Reiter, der Angehörige der Katastrophe vertritt, äußerte sich in der WDR-Doku: "Wir stehen auf dem Standpunkt: Wenn diese flugmedizinischen Untersuchungen ordnungsgemäß durchgeführt worden wären, hätte der Mann nicht mehr im Cockpit sitzen können."
Streaming-Hinweis: Die vierteilige Doku "Der Germanwings-Absturz - Chronologie eines Verbrechens" steht exklusiv in der ARD-Mediathek zum Abruf bereit.
Normalerweise berichtet TAG24 nicht über (erweiterte) Suizide. Da der Fall aber von großem öffentlichen Interesse war und ist, hat sich die Redaktion entschieden, ihn doch zu thematisieren.
Solltet Ihr selbst von Selbsttötungsgedanken betroffen sein, findet Ihr bei der Telefonseelsorge rund um die Uhr Ansprechpartner, natürlich auch anonym. Telefonseelsorge: 08001110111 oder 08001110222 oder 08001110116123.
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