TAG24 in Berlin-Tegel: So funktioniert Deutschlands größtes Ukraine-Flüchtlingszentrum
Berlin - Dort, wo sich früher Urlaubsträume erfüllt haben, landen heute Menschen in der Realität. Der Flughafen Tegel ist zurück - aber anders, als sich das die Berliner erhofft hatten. Einen Monat nach Kriegsausbruch in der Ukraine ist TXL eilig zu Deutschlands größtem Verteilzentrum für Flüchtlinge aus dem Land umfunktioniert worden, an dem täglich Tausende Menschen registriert, verteilt und untergebracht werden können. TAG24 hat für Euch hinter die Kulissen dieses logistischen Kraftaktes geschaut.
(Der Besuch fand am Donnerstag, den 24. März statt.)
Regina Kneiding (68) hat in ihren 15 Jahren in der Flüchtlingshilfe schon so einiges erlebt. 2015 kümmerte sie sich in Tempelhof um geflüchtete Syrer, später half sie auch bei den Corona-Impfungen in Berlin mit. Nun ist die Kunst-, Kultur- und Hundeliebhaberin zuständig für alle Anfragen rund um das Ankunftszentrum in Tegel.
"Dit is hier keene Turnhallenatmo", dialektelt die sympathische Ostberlinerin in die Runde. Doch dafür musste einiges getan werden.
Noch vor einigen Tagen gab es in dem im Dornröschenschlaf befindlichen Gebäudekomplex weder fließend Wasser noch Strom - die Außenanlagen wirken noch immer wie eine längst verlassene Geisterstadt.
Egal ob vom Hauptbahnhof oder dem Zentralen Omnibusbahnhof - von überallher werden die in Berlin eintreffenden Ukrainer nach Tegel gebracht. Hier kommen sie eigentlich wie früher an - auf dem Rollfeld. Allerdings geht es nicht sofort in das Terminal, sondern in ein Wärmezelt zur Erstaufnahme.
Diejenigen, die zunächst in Berlin bleiben, werden anschließend via Gangway ins ehemalige Terminal B gebracht - der Corona-Test steht an. Wenn dieser positiv ist, geht es zum Schalter A15, wohinter die Infizierten in Quarantäne ausharren. Bei einem Negativtest erhalten die Geflüchteten Papierbändchen.
Was für unsereins eine Eintrittskarte in die Disco sein könnte, ist dort der Passierschein in den sicheren Hafen.
Übernachtet wird in Tegel am Kofferband oder direkt im Duty Free Shop
Im berühmten Tegeler Sechseck ist eine Art Wohntrakt entstanden: Auf den Fluren wurden die Kioske wiederbelebt, es gibt Schokoriegel und Minuten-Terrinen. Kleidung erhält man am Stand neben den Hygieneartikeln, quer über den Gang gibt es eine Anlaufstelle für all diejenigen, die mit ihren Haustieren geflohen sind.
Möglich macht diese lückenlose Betreuung, die auch 30 Ärzte sowie acht Sprachmittler (nach wie vor wird händeringend nach Unterstützung gesucht) im Schichtbetrieb umfasst, ein Bündnis der Berliner Hilfsorganisationen DRK, Malteser, DLRG, Johanniter und ASB. Die haben bereits in Pandemie-Zeiten unter dem Motto "Wir Helfen Berlin" zueinandergefunden und können nun auf teils altbewährte Strukturen zurückgreifen.
Herzzerreißend wird es dann beim Blick auf die schwarzen Metall-Doppelstockbetten. Sie stehen direkt neben einem noch existierenden Kofferband, an der Passkontrolle oder mitten im Duty Free Shop - also einfach überall da, wo Platz ist.
Auffällig: So gut es möglich war, haben die Helfer Wert auf Anonymität gelegt, Trennwände aufgestellt und private Bereiche geschaffen, in denen man einfach mal zur Ruhe kommen kann. "Dit kommt jut bei die Leute an", sagt Kneiding stolz.
Zugleich betont sie aber auch, dass es sich bei Tegel immer noch um eine Notunterkunft handle und es für die Ukrainer nach zwei bis drei Tagen an geeignetere Orte innerhalb der Stadt weitergehen solle.
Wie lange Tegel Ankunftszentrum bleibt? Antwort offen...
Stellt sich die Frage, wie lange der ehemalige Hauptstadtflughafen jetzt Verteilzentrum bleiben soll?
Das weiß keiner... Zunächst einmal ist der Betrieb auf ein halbes Jahr und täglich 10.000 Flüchtlinge ausgelegt, die hier registriert und verteilt werden können.
Für diejenigen, die bleiben, gibt es schon 700 Betten, täglich wird aufgestockt.
Fest steht: Tegel war und ist ein Ort des Transits. Niemand, der nach Tegel rausfuhr, war dort, um dort zu bleiben. Heute ist es nicht viel anders; es weiß bloß keiner mehr, wohin die Reise gehen soll.
Titelfoto: Holm Helis