Von Christoph Bergmann
Malta - Einmal auf einem Rettungskreuzer im Mittelmeer mitfahren und in Seenot geratene Menschen zu retten, ist nicht unbedingt ein Traumjob für viele. Der Berliner Journalist Lucas Maier (30) aber heuerte in einer beruflichen Auszeit auf der SeaPunk I an - und musste Schreckliches miterleben, wie er TAG24 erzählt.
"Die menschenunwürdige Lage im Mittelmeer ist mir seit Langem bewusst. Seit 2016 wollte ich auf einem derartigen Schiff mitfahren und mithelfen, die Situation etwas menschenwürdiger mitzugestalten. Aus beruflichen Gründen hatte es aber bisher nie geklappt", berichtet Lucas Maier.
In der ersten Januarwoche fliegt er nach Sizilien und trifft sich mit der internationalen Crew. Die aus Ländern wie Italien, Frankreich, Deutschland oder Großbritannien stammenden Leute arbeiten alle ehrenamtlich. Nur die Brückencrew und der Schiffsmaschinist werden für ihre Tätigkeit bezahlt.
Nach einer einwöchigen Vorbereitungszeit fährt der Kreuzer in sein Einsatzgebiet: das Search-and-Rescue (SAR)-Gebiet von Malta. Eine Zone, die quasi das gesamte Mittelmeer südlich von Italien bis nach Griechenland abdeckt.
Den schwierigsten Einsatz erwartet die Crew am 24. Januar. An jenem Morgen erblicken Ausgucke vor dem Bug des Schiffes Menschen im Wasser.
Seenotrettung: "Ich werde nie vergessen, wie ich die schreienden Menschen im Wasser entdeckt habe"
Etwa 20 Personen treiben in Gruppen auf dem Meer. Von einem Boot ist weit und breit keine Spur. Das Beiboot wird zu Wasser gelassen. "Es musste schnell gehandelt werden, weil die Menschen immer weiter auseinander trieben", sagt Lucas Maier. 18 Flüchtlinge werden so gerettet. Aber: Ein Baby kann nur tot geborgen werden. Ein zweites stirbt an Bord des Schiffes.
Für die Crew eine physisch und psychisch höchst belastende Situation. "Ich werde niemals vergessen, wie ich die schreienden Menschen im Wasser entdeckt habe oder wie unser Doktor den Leichensack geöffnet hat und dort die kleinen leblosen Körper drin lagen."
Maier weiter: "Oder wie ich warmes Wasser in den Medicalcontainer gebracht habe, am Boden ein totes Baby, und mir unser Chief Engineer direkt in die Augen geschaut hat, als er um das Leben des anderen Babys kämpfte. Dieser Blick sagte mehr als 1000 Worte. Der Schrei der Mutter, wie sie erfahren hat, dass ihr Kind gestorben ist, geht mir auch Tage danach noch durch Mark und Bein."
Die traumatisierten Überlebenden werden auf die süditalienische Insel Lampedusa gebracht. Für die Crew des Seenotrettungskreuzers heißt es nun, das Erlebte zu verarbeiten.
"Allen stand der Schock und der Schrecken ins Gesicht geschrieben. Wenn Kinder sterben, geht das allen nahe, egal wie viel sie schon erlebt haben. In den kommenden Tagen haben wir viel miteinander gesprochen, zusammen geweint oder unserem Hass gegen die Ungerechtigkeit der Welt, in der wir leben, Luft gemacht."
Seenotrettung auf dem Mittelmeer: "Folter, Vergewaltigung und Haft in menschenunwürdigen Bedingungen"
Das Gebiet wird aber nicht nur von See aus abgesucht. Auch die EU-Grenzschutz-Agentur Frontex befliegt die Zonen, um nach Booten Ausschau zu halten. Wird ein Schiffbruch erkannt, meldet das Flugzeug den nächstgelegenen Schiffen die Koordinaten zur Rettung.
Am Nachmittag des 23. Januar erhält die SeaPunk I so einen Funkspruch mit dem Hinweis, dass mehrere Seemeilen entfernt ein Schlauchboot mit etwa 100 Personen an Bord unterwegs sei. Der Kapitän setzt Kurs. Plötzlich kommt ein Schiff der libyschen Küstenwache und fordert die SeaPunk I auf, das Gebiet zu verlassen, da man sich selbst um die Rettung kümmere.
Das ist ein Bruch internationalen Seerechts. Denn die libysche Küstenwache habe nur Zuständigkeit innerhalb ihrer Hoheitsgewässer, nicht aber für das SAR-Gebiet vor Malta, wie Frontex-Sprecherin Reza Ahmadi zu TAG24 sagt.
Das Boot wurde, genau wie undichte Benzinkanister, von den Libyern zurückgelassen. Die Motoren nahm man mit.
Lucas Maier wird sehr deutlich: "Es ist kein Geheimnis, was mit den Menschen passiert, nachdem die sogenannte libysche Küstenwache sie an Bord genommen hat: Folter, Vergewaltigung und Haft in menschenunwürdigen Bedingungen. Ich würde lieber sterben, als in diese Hölle geworfen zu werden."