Kommentar zum Männertag: Das Problem der fröhlich geduldeten Dominanz
Für die TAG24-Redakteurin Savannah Pleil ist der Männertag eine längst überholte Darstellung von männlicher Dominanz über Frauen. In ihrem Kommentar macht sie ihrem Ärger Luft.
Dresden - Heute ist es wieder so weit: Zum je nach Region genannten Männer-, Herren- oder Vatertag sammeln sich überall in Deutschland Männerhorden, die durch die Straßen ziehen, uneingeschränkt Alkohol trinken und oft auch Frauen anpöbeln und belästigen.
An Tagen wie diesen versuche ich die Straßen Dresdens zu meiden. Es dauert nicht lange, bis sich die Massen an Männern mit ihren Bollerwagen, maßlos saufend, in komischen Kostümen und mit lautem Rumgebrülle überall tummeln.
In der Neustadt, den Parks und an den Elbwiesen ist es besonders schön - hier konnte man letztes Jahr keine fünf Meter gehen, ohne dumm von der Seite mit "Hey Süße!" angemacht zu werden, oder eine andere Frau zu sehen, der das Gleiche passiert.
Auch wenn Vatertag zunächst wie das offensichtliche Pendant zum Muttertag aussieht, werden die zwei hierzulande sehr unterschiedlich gefeiert.
Während wir am Muttertag im Familienkreis feiern und uns bei unseren Müttern für ihre geleistete Arbeit bedanken sollen, feiern sich Väter an ihrem Tag mit anderen Männern zusammen selbst.
Frauen mit Kindern sollen sich an ihrem Tag ihrer wahren Liebe, der Familie, widmen. Männer, egal welchen Familienstatus sie haben, sollen an ihrem Tag die auferlegten Sitten und Anständigkeit unserer Gesellschaft ablegen dürfen und stattdessen ordentlich die Sau rauslassen, unter dem Motto: "Ich mach heut was ich will, weil ich ein Mann bin".
"Wir leben in einer patriarchalen Gesellschaft, in der Männer oft ohne Konsequenzen Gewalt ausüben dürfen"
Doch wenn unter "die Sau rauslassen" auch körperliche Gewalt, sexuelle Belästigungen, unkontrollierter Alkoholkonsum und das Zurücklassen von Frauen und Kindern fällt, muss man sich fragen: Was wird hier eigentlich gefeiert?
Männer, die sich heute in der Sicherheit wägen, ihren Bedürfnissen freien Lauf lassen zu dürfen, machen damit deutlich, dass sie die von ihnen ausgeübten Formen von körperlicher und sexueller Gewalt als ihr gutes Recht, sogar als Teil ihrer Männlichkeit ansehen.
Männertag ist demnach eine grotesk fröhliche und geduldete Erinnerung daran, dass wir in einer patriarchalen Gesellschaft leben, in der Männer oft ohne echte Konsequenzen ihre Macht gegenüber Frauen ausüben dürfen.
In Deutschland wird alle drei Tage eine Frau von einem Mann ermordet, wobei Besitzdenken über die Frau oft eine große Rolle spielt. Die Flüchtlingswelle aus der Ukraine wurde von einigen sofort dafür genutzt, sich an vulnerablen Frauen zu vergehen. Fußballniederlagen, wie die von Dynamo Dresden vorgestern, sind ein Anlass zu einem Anstieg an häuslicher Gewalt um rund 8,5 Prozent, laut einer britischen Studie. In England sind es nach verlorenen WM-Spielen sogar fast 38 Prozent.
Nur rund fünf Prozent aller Sexualstraftaten werden in Deutschland angezeigt. Die Verurteilungsquote von Vergewaltigung liegt bei nur 13 Prozent, eine unterdurchschnittliche Quote im europäischen Ländervergleich.
"Auch Männer, die nicht absichtlich Gewalt ausüben, sind mit in der Verantwortung"
Der geduldete Aufmarsch an maßlos saufenden, herumgröhlenden und oberkörperfreien Männern, von denen überdurchschnittlich viel Gewalt ausgeübt wird, erinnert uns daran, dass wir diesen Grenzüberschreitungen ausgeliefert sind.
Es ist eine Darstellung von akzeptierter Macht. Daran sind alle Männer beteiligt, die heute mit ihrem Bollerwagen und ihren verschluckten Gefühlen losziehen, ob sie es so meinen oder nicht.
Klar, nicht alle Männer werden Frauen heute dumm anmachen. Aber die, die danebenstehen und nichts sagen, vielleicht sogar noch über die Sprüche der anderen lachen, sind genauso Teil dieser übergriffigen Kultur - einer frauenfeindlichen Kultur, die die gesamte Verantwortung auf die Betroffenen abwälzt und sexuelle Bedrängungen als normal darstellt.
Auch ohne Männertag erleben viele Frauen auf offener Straße blöde Hinterherrufe, Anspielungen und andere Grenzüberschreitungen.
2021 hat es laut dem PKI mehr als 70.000 Tatverdächtige zu Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung gegeben, wobei die Dunkelziffer vermutlich sogar noch höher lag. Nach Dunkelfeldstudien, ist jede dritte Frau einmal im Leben von physischer oder sexualisierter Gewalt betroffen.
Warum brauchen wir also einen Tag zur Darstellung männlicher Macht über Frauen, wenn wir diese eigentlich schon 365 Tage im Jahr spüren?
Titelfoto: Bildmontage: Paul Zinken/dpa & Savannah Pleil