Kommentar zur deutschen ESC-Jury: Das kann nicht Euer Ernst sein!
Liverpool - Der "Eurovision Song Contest" braucht eine Revolution! Die sogenannten "Fachjurys" bilden größtenteils absolut nicht den Musikgeschmack der überwiegenden Mehrheit der Zuschauer ab. Das galt in diesem Jahr auch insbesondere für die deutschen "Kenner", die Publikumsliebling Käärijä aus Finnland nicht mal in ihrer Top 10 hatten. Starke Leistung.
Würde es die Jury-Wertung nicht geben, hätten wir im Finale am vergangenen Samstag teils deutlich andere Endplatzierungen auf dem Tableau gehabt. Dann hätte sich Käärijä ("Cha Cha Cha") gekrönt und die (natürlich unbestritten sensationelle) Schwedin Loreen ("Tattoo") nur Silber gewonnen. Das gerechtere Resultat?!
Und auch Deutschlands Lord Of The Lost wären mit ihrer gut inszenierten Rocknummer "Blood & Glitter" nicht undankbarer Letzter geworden, sondern hätten vor Spanien und Großbritannien immerhin Rang 24 erreicht - mit nur einem Punkt Differenz zu Serbien, Portugal und Österreich sowie in Schlagdistanz zu Australien und Estland.
Immer noch weit weg vom Sieg, klar. Dennoch gaben uns die Zuschauer außerhalb Deutschlands im Tele-Voting fünfmal mehr Stimmen (15 Punkte) als die Jury (3).
Stellenweise ist die Diskrepanz zwischen Jury- und Tele-Voting enorm und auch fragwürdig. Während der Unterschied bei Italien, Serbien (je 2 Punkte), Frankreich (4) oder Großbritannien (6) nur marginal ausfiel, war es weiter oben deutlicher.
Krasse Schere zwischen Jury und Zuschauern bei Schweden, Norwegen und vor allem Finnland
Schweden heimste so im Televoting 97 Punkte weniger ein als von der Jury, gewann nur ihretwegen. Auch Estland erhielt von den "Profis" fast siebenmal so viele Punkte wie aus dem Tele-Vote, insgesamt 124 Punkte Unterschied - und wusste gar nicht, wie es Achter werden konnte.
Noch klarer wird es bei Norwegen. Die "Queen Of Kings" Alessandra bekam von der Jury nur 52 Punkte, von den Zuschauern hingegen 216. Eine Differenz von 164!
Und noch bitterer war es für Finnland. 150 Jury-Punkte standen 376 aus dem Tele-Vote gegenüber. Satte 226 Punkte Unterschied. Am Ende wurde Käärijä mit 57 Punkten Rückstand auf Loreen Zweiter.
ESC-Finale 2023: Top 10 aller Jurys
- 1. SCHWEDEN | 340 Punkte | Gesamtplatzierung 1.
- 2. ISRAEL| 177 | 3.
- 3. ITALIEN | 176 | 4.
- 4. FINNLAND | 150 | 2.
- 5. ESTLAND | 146 | 8.
- 6. AUSTRALIEN | 130 | 9.
- 7. BELGIEN | 127 | 7.
- 8. ÖSTERREICH | 104 | 15.
- 9. SPANIEN | 95 | 17.
- 10. TSCHECHIEN | 94 | 10.
ESC-Finale 2023: Top 10 aller Zuschauer
- 1. FINNLAND | 376 Punkte | Gesamtplatzierung 2.
- 2. SCHWEDEN | 243 | 1.
- 3. NORWEGEN | 216 | 5.
- 4. UKRAINE | 189 | 6.
- 5. ISRAEL | 185 | 3.
- 6. ITALIEN | 174 | 4.
- 7. KROATIEN | 112 | 13.
- 8. POLEN | 81 | 19.
- 9. MOLDAU | 76 | 18.
- 10. ALBANIEN | 59 | 22.
Deutsche ESC-Jury: Habt Ihr Finnland vergessen?
Nicht nur die peinliche Live-Verkündung durch den Keks-auspackenden Elton (52) wurde von mir mit einem Kopfschütteln zur Kenntnis genommen. Auch die Zusammenstellung der deutschen "Fachjury" wirft viele Fragen auf.
Da sitzt eine Katja Ebstein (78), die durch ihre erfolgreichen ESC-Teilnahmen 1970, 1971 und 1980 natürlich in die Geschichte einging, anhand ihres Alters aber wahrscheinlich eher weniger den Zahn der Zeit trifft.
Da ist eine Anica Russo (23), die mit "Once Upon A Dream" Sechste beim Vorentscheid wurde und musikalisch auf ihren Durchbruch wartet.
Ein Arne Ghosh, der mit seiner Musikagentur als eines der größten Steckenpferde Stefanie Heinzmann betreut. Hinzu kommt "Bremen Vier"-Radiomoderator Kai Tölke und "Frida Gold"-Sängerin Alina Süggeler (38), die ihre Teilnahme am Vorentscheid krankheitsbedingt absagen musste.
Zwar gaben sie Loreen die Höchstpunktzahl und lagen damit goldrichtig. Wie man der Estin Alika ("Bridges") aber zur Zweit- und Australiens Voyager ("Promise") zum Drittplatzierten machen konnte, erschließt sich kaum.
Noch krasser: Der letztlich zweitplatzierte Käärijä bekam keinen einzigen Jurypunkt aus Deutschland. Das grenzt schon fast an einen Skandal und ist höchst peinlich.
Fazit nach dem Eurovision Song Contest 2023
Immerhin: In den beiden Halbfinals wurde erstmals das Jury-Voting abgeschafft. So tippte auch TAG24-Redakteur Nico Zeißler 19 der 20 Länder richtig, die es ins Finale schafften.
Gäbe es das Jury-Voting nicht und würde der ESC-Sieger ausschließlich von den abstimmenden Zuschauern bestimmt werden, hätte sich in diesem Jahr Finnland die europäische Musikkrone aufgesetzt.
Allein sechs Nationen aus der Top 10 der Jury schafften es nicht in die Zuschauer-Top-10: Estland, Australien, Belgien, Österreich, Spanien und Tschechien.
Zeit für eine Revolution zugunsten der Mehrheit, der Zuschauer. Oder?
Titelfoto: Bildmontage: Eric Münch, Peter Kneffel/dpa