Aus wissenschaftlichen Gründen: Sie knutscht Euch das Ohr ab
Dresden - Man erschrickt und denkt, man sei auf einem Pornokanal gelandet. Da sitzt eine Frau und knutscht ein Ohr aus Plastik ab. Aber das hat einen wissenschaftlichen Hintergrund.
Autonomous Sensory Meridian Response (ASMR) heißt auf Deutsch in etwa "autonome sensorische Meridian-Reaktion".
Was "autonom" heißt, ist klar: Etwas passiert automatisch und lässt sich nicht kontrollieren.
"Sensorisch" bedeutet, dass die autonome Reaktion durch die Wahrnehmung über unsere Sinnesorgane ausgelöst wird. Also durch Hören, Sehen, Fühlen, Tasten oder Schmecken.
Im Falle von ASMR sind aber speziell Seh- und Höreindrücke relevant, die eine angenehme körperliche Reaktion auslösen sollen.
Studien aus den Jahren 2015 und 2018 berichten von Indizien, dass ASMR-Erlebnisse bei Probanden den Herzschlag reduzieren, also beruhigen.
Welche Laute und optische Eindrücke beruhigen nun? Laut Nebraska Medicine kann solch eine Beruhigung durch leises Sprechen, persönliche Aufmerksamkeit, Lichtmuster, aber auch durch Kratzgeräusche auftreten.
Ein Beispiel für ASMR-Geräusche liefert der TikToker "jojoasmr".
ASMR wird wissenschaftlich untersucht, den großen Durchbruch gab es aber noch nicht
Das Gefühl, das dadurch ausgelöst werden kann, erstreckt sich in verschiedenen Intensitäten durch den ganzen Körper, von der Kopfhaut des Hinterkopfes, entlang des Nackens bis hin zur Wirbelsäule im Schulterbereich, und kann als angenehmes Kribbeln empfunden werden.
Auch die berühmte Gänsehaut kann ein Signal dafür sein.
Die Wissenschaft hat ASMR vergleichsweise erst vor Kurzem für sich entdeckt. Erstmals tauchte der Begriff laut Healthline 2007 in Online-Foren auf und wurde 2010 dann erstmals wissenschaftlich von der US-Amerikanerin Jennifer Allen aufgegriffen.
Große klinische Studien gibt es noch nicht, aber es gibt deutliche Hinweise darauf, dass ASMR beim Einschlafen und Konzentrieren hilft. Außerdem gibt es vielversprechende Erkenntnisse bei Einsatz von ASMR gegen chronische Schmerzen.
"nanouasmroffical" liefert auf TikTok weitere Beispiele für ASMR-Klänge.
"Ohrknutschen" wird auch auf Spotify angenommen
Aber warum knutscht die Frau ein Plastikohr? Nun, direkt am Plastikohr ist ein Mikrofon, welches die Geräusche quasi "hautnah" direkt überträgt.
Der Übergang zwischen "unerotischer" und "erotischer" ASMR ist fließend, weil angenehme Reize je nach Setting als erotisch wahrgenommen werden können.
ASMR LUXURIOUS' Version auf YouTube ist wohl eher die erotische Variante.
Die Pornoindustrie hat ASMR längst für sich entdeckt und die Nachfrage nach "Knutschen am Ohr" belegt nicht nur die Klicks auf YouTube, sondern auch Playlists auf Spotify, wo man sich stundenlang das Ohr abknutschen lassen kann, ohne dass es mit erotisch gekleideten Frauen beworben werden muss.
Doch Obacht! Man weiß nicht genau, warum dies und jenes beruhigend wirkt. Gesichert ist, dass nicht alle ASMR erleben können und wenn, dann nicht alle auf das Gleiche anspringen. Interessierte sollten sich also ausprobieren.
Ein Beispiel für ASMR sind auch Regengeräusche, welche man auf YouTube, aber auch auf Spotify in stundenlangen Versionen finden kann.
Es kann sein, dass diese nahezu monotonen Geräusche deshalb beruhigend wirken, weil sie uns unbewusst an den Ort erinnern, der so sicher und warm wie kein anderer war: der Bauch unserer Mutter.
Da Säuglinge bereits lange vor der Geburt hören können, kommen Geräusche im Mutterleib natürlich nur gedämpft an und vermischen sich zu einem "Geräuschbrei", wie zum Beispiel das Ohrknutschen, Meeresrauschen oder Dauerregen ein diffuser, aber eben bekannter Geräuschbrei sind.
Titelfoto: Bildmontage: 123rf/aberheide, Screenshot/YouTube/ASMR LUXURIOUS, 123rf/archman