Trotz geplanter Legalisierung! Prozess wegen 0,2 Gramm Cannabis: Twitter-Shitstorm
Deggendorf - Es steht in den Zeilen 2890 und 2891 des Koalitionsvertrags der amtierenden Bundesregierung: "Wir führen die kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften ein." Doch bevor das passiert, möchte das Amtsgericht Deggendorf "offenbar noch ein Exempel statuieren".
Das zumindest vermutet Rechtsanwalt Lito Michael Schulte.
Der 32-Jährige kann selbst nicht so richtig glauben, wegen welchem Fall er von Düsseldorf aus nach Niederbayern fahren wird: "Es ist einfach eine Verkennung der bereits im Koalitionsvertrag gegossenen Realität", so der Jurist im Gespräch mit TAG24.
Eine Frau muss sich wegen des Besitzes von 0,2 Gramm Cannabis vor Gericht verantworten. Die Staatsanwaltschaft fordert eine Strafe von 60 Tagessätzen zu je 15 Euro. Die Arbeitssuchende lebt von 403 Euro im Monat.
"Der Richter ist ein bekannter Hardliner", versucht Schulte zu erklären, wie es überhaupt zu so einem Prozess kommen kann. "Da will man wohl kurz vor der Legalisierung noch jemandem vors Schienbein treten."
Die Mitte 40-Jährige sei damals bei der Polizei gemeldet worden. Mit der Begründung von "Gefahr in Verzug" verschafften sich die Beamten laut Schulte Zutritt zu der Wohnung und fanden 0,2 Gramm Cannabis.
Ein Pflichtverteidiger für die Frau wurde abgelehnt. Doch der Rechtsanwalt, der sich auf Youtube und mit dem Podcast "Munchies & Mangos" dem Thema Cannabis und Drogen verschrieben hat, sagte ihr seine Unterstützung zu.
Schulte: "Entzieht sich jeglicher rationaler Argumentation"
Seine Mandantin sei zwar in der Vergangenheit schon einmal wegen Drogen zu einer Haftstrafe verurteilt worden, aber "das war schon vor 20 Jahren. Das kann nicht der Grund für ein solches Agieren der Justiz sein", so Schulte.
Wegen 0,2 Gramm Cannabis so vorzugehen "entzieht sich jeglicher rationaler Argumentation". Auch wenn seine Mandantin, Nicola O., zuletzt wegen Missbrauchs von Notrufen zu einer Geldstrafe verurteilt wurde.
Auf seinem Twitter-Account fasste der Rechtsanwalt den bevorstehenden Prozess kurz zusammen. Kurz darauf empörten sich zahlreiche User unter dem Hashtag #200milligramm darüber, dass so ein Sachverhalt überhaupt die Gerichte beschäftigen kann.
Twitter-User reagieren zynisch auf den geplanten Prozess
Gewohnt provokant reagiert die Twitter-Community mit Beiträgen wie: "Schon mal wegen #200Milligramm Alkohol vor Gericht gewesen?", "Stell dir vor du studierst 10 Jahre Jura, um dann 60 Tagessätze wegen #200Milligramm Cannabis zu fordern" und "Mit den Weedkrümeln in meiner Tastatur würde ich in #Deggendorf vor Gericht landen." (Rechtschreibungen aller Kommentare übernommen)
Eine weitere Person kritisiert: "Mit 0,2g Gras hast du einen halben Joint. Dafür eine Gerichtsverhandlung einzuräumen ist blanker Hohn. Das durchzuziehen obwohl die Legalisierung auf dem Tisch liegt ist kompletter Irrsinn!"
Ein weiterer User meint: ">0,2g. Das raucht doch ein Wellensittich an einem Wochenende weg."
Mandantin geht offensiv mit dem Thema um
Auch Schultes Mandantin ist auf Twitter aktiv - und geht offensiv mit dem Thema um. Unter dem Profilnamen "Iloveweed" teilt sie vor allem Nachrichten rund um Cannabis.
"Ich werde mich mit Nicola schon vor dem Prozess treffen", kündigt der Anwalt gegenüber TAG24 an. "Und ich habe auch vor, ein entsprechendes YouTube-Video zu dem Fall zu machen."
In Bayern kann bis zu einer Höchstmenge von 6 Gramm das Verfahren eingestellt werden. Eine der Voraussetzungen: Es handelt sich dabei um Eigenbedarf.
Mit einer sichergestellten Menge von 0,2 Gramm erscheint zumindest ein Handel als tendenziell eher unwahrscheinlich.
Titelfoto: 123rf/lightfieldstudios (Symbolbild)