Warum Long Covid nichts Neues ist und einen Gesundheitsskandal wieder ins Rollen bringt
Berlin - Corona ... was war das noch mal? Durch das Auslaufen vieler Schutzmaßnahmen geraten das Virus und die Folgen der Pandemie so langsam in Vergessenheit. Die Welt geht wieder zur Normalität über. Doch für viele Menschen steht das Leben weiterhin still. Für einige seit Monaten, für andere bereits seit Jahrzehnten.
Viele haben den Begriff "Long Covid" schon einmal gehört, gelesen oder kennen sogar jemanden, der daran erkrankt ist.
Unter Long Covid versteht man Symptome, welche vier bis zwölf Wochen nach einer überstandenen Corona-Infektion anhalten, sich verschlechtern oder neu auftreten.
Von Post Covid spricht man, wenn die Symptomatik länger als drei Monate anhält. Grundsätzlich werden alle gesundheitlichen Beschwerden, die nach einer SARS-CoV-2-Infektion auftreten, unter Long Covid zusammengefasst.
Genaue Zahlen gibt es nicht. Dennoch kann man davon ausgehen, dass schätzungsweise zehn Prozent der Infizierten an Spätfolgen leiden.
Einer der schwersten Formen von Long Covid ist wohl die Myalgische Enzephalomyelitis bzw. das Chronische Fatigue-Syndrom, kurz ME/CFS.
Long Covid im Sinne des Chronischen Erschöpfungssyndroms gab es schon vor der Pandemie
Schon vor der Pandemie litten in Deutschland circa 250.000 bis 400.000 Menschen unter dieser schweren neuroimmunologischen Krankheit, die häufig durch Virusinfektionen ausgelöst wird und vorwiegend junge Menschen sowie Frauen trifft. Durch die Corona-Pandemie dürfte sich die Zahl der Betroffenen wohl mindestens verdoppeln.
Die Symptome von ME/CFS sind so vielseitig und diffus wie der Name der Erkrankung selbst. Betroffene leiden unter einer neu aufgetretenen, schweren Erschöpfung sowie Ganzkörperschmerzen, extremer Reizempfindlichkeit, Schwindel, Gedächtnisstörungen und vielem mehr.
Besonders tückisch ist die Belastungsintoleranz, im Fachjargon als Post-Exertionelle Malaise (kurz PEM) benannt. Kleinste Belastungen wie beispielsweise Einkaufen, ein Spaziergang oder gar Zähneputzen können zur Verschlechterung des Zustands führen.
Viele Patienten müssen hierfür in dunklen Zimmern verbringen, um die Symptome überhaupt aushalten zu können.
Long Covid und ME/CFS werden oft als psychosomatisch abgetan
Menschen, die vorher noch mitten im Leben standen, verschwinden von der Bildfläche und werden schlichtweg vergessen. Das ist wohl auch einer der Gründe, weshalb es bis heute nicht ein einziges zugelassenes Medikament gibt.
Obwohl ME/CFS von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) bereits 1969 als neurologische Erkrankung eingestuft wurde, ist sie den meisten Ärzten in Deutschland nicht bekannt.
Nicht selten ordnen Mediziner Symptome wie Erschöpfung, Schwindel oder Herzrasen fälschlicherweise als psychosomatisch ein und raten Patienten zur Steigerung der Aktivitäten. Für ME/CFS-Betroffene fatal. Statt stabiler zu werden, landen viele deshalb im Rollstuhl oder werden dauerhaft bettlägerig.
Ein regelrechter Gesundheitsskandal, der schon lange vor der Corona-Pandemie still und leise einfach so weiterlief. Da stellt sich die Frage: Wie konnte das passieren? Und warum tut die Politik nichts?
Politik will 100 Millionen Euro in Versorgung investieren, die es praktisch nicht gibt
Durch Long Covid keimt langsam wieder Hoffnung in der Geschichte des Chronischen Fatigue-Syndroms auf.
Am 19. Januar wurde im Bundestag über einen Antrag der CDU/CSU erstmals über Hilfen für Betroffene und deren Angehörige beraten.
Auf die prekäre Versorgungslage machte eine eindrucksvolle Protestaktion der Initiative "nichtgenesen" vor dem Bundestag aufmerksam. 400 Feldbetten standen für Menschen, die wegen Long Covid, dem Post-Vac-Syndrom (Impfschäden) und/oder ME/CFS nicht persönlich vor Ort sein konnten.
Das setzte die Verantwortlichen wohl doch ein wenig unter Druck, endlich zu handeln. Kurz darauf kündigte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (59, SPD) eine "groß angelegte Initiative" für Menschen mit Long Covid an. Zudem wolle sein Ministerium 100 Millionen Euro in die Versorgungsforschung stecken. Auch eine Hotline solle eingerichtet werden.
Warum das Bundesgesundheitsministerium so viel Geld ausgerechnet in die Versorgung investieren will, obwohl es bislang keine Therapien gibt, bleibt fraglich. Offen ist auch, wie eine Hotline über Diagnostik und Therapieansätze informieren soll, wenn Ursachen und Behandlung von Long Covid bislang nicht ausreichend geklärt sind.
Zudem wird sich bei der geplanten Initiative nur auf Long Covid konzentriert. Menschen, die durch andere Virusinfektionen oder gar durch Impfung krank geworden sind, werden einfach ausgeschlossen.
Sinnvoller wäre es, wenn Gelder vor allem in Aufklärung sowie Grundlagen- und Therapieforschung postviraler Krankheiten fließen würden, denn ohne Medikamente gibt es keine Aussicht auf Heilung.
Titelfoto: Deutsche Gesellschaft für ME/CFS/privat