"Verzerrung der Wahrnehmung": Jetzt spricht der Vize-Chef von Astrazeneca

Hamburg/London - Obwohl er nachweislich vor Covid-19 schützt, liegt er an vielen Orten bisher ungenutzt im Kühlschrank. Der Impfstoff von Astrazeneca hat ein Imageproblem. Ein führender Vertreter des Konzerns hat Vermutungen, wie es dazu kommen konnte.

Eine Apothekerin zieht Astrazeneca-Impfstoff auf. Eine wachsende Zahl großer deutscher Unternehmen will wegen der lahmenden Impfkampagne den Schutz der Mitarbeiter vor dem Coronavirus in die eigenen Hände nehmen.
Eine Apothekerin zieht Astrazeneca-Impfstoff auf. Eine wachsende Zahl großer deutscher Unternehmen will wegen der lahmenden Impfkampagne den Schutz der Mitarbeiter vor dem Coronavirus in die eigenen Hände nehmen.  © Andreas Arnold/dpa

Der Vize-Chef von Astrazeneca in Deutschland stellt eine "Verzerrung der Wahrnehmung" des eigenen Impfstoffs fest.

"In Deutschland wird der Impfstoff vor allem bei Jüngeren, also Berufstätigen eingesetzt. Diese haben generell stärkere Immunreaktionen und können sich - anders als Rentner - auf der Arbeit krankmelden", sagte Klaus Hinterding, deutscher Vize-Chef des Pharmaunternehmens, der Deutschen Presse-Agentur. "Das hat in Deutschland zu einer Verzerrung der Wahrnehmung geführt."

In vielen deutschen Regionen lag das Mittel von Astrazeneca, das gemeinsam mit der renommierten Universität Oxford entwickelt wurde, in den vergangenen Tagen und Wochen auf Halde - auch, weil etliche Bürger ihre Impfangebote nicht wahrnehmen.

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Nach ersten Studiendaten und Berichten hatten viele das Mittel wohl für deutlich weniger wirksam oder sicher gehalten als die Impfstoffe von Biontech oder Moderna. "Ich weiß gar nicht, ob wirklich etwas schiefgelaufen ist", sagte Hinterding mit Blick auf das Imageproblem.

"Es gingen unglaublich viele Zahlen durch die wissenschaftliche Literatur und auch durch die Tagespresse", so der Vize-Chef. "Das Wesentliche war immer, dass der Impfstoff mit ganz großer Wirksamkeit vor schweren Verläufen der Krankheit schützt."

Vize-Chef Klaus Hinterding: "Ohne den Astrazeneca-Impfstoff schaffen wir es nicht"

Eine Ampulle des Corona-Impfstoffs von Astrazeneca wird in einer Arztpraxis aus der Packung entnommen.
Eine Ampulle des Corona-Impfstoffs von Astrazeneca wird in einer Arztpraxis aus der Packung entnommen.  © Hannibal Hanschke/REUTERS/Pool/dpa

Ein weiterer Grund für die großen Mengen an Impfdosen, die derzeit in deutschen Kühlschränken liegen, ist auch, dass vielerorts die zweite Dosis für eine Impfung zurückgelegt wird, um sie beim zweiten Termin des Patienten parat zu haben. Anderswo, unter anderem in Großbritannien, vertraut man auch den Liefernachschub und impft, was da ist.

Auch wenn Astrazeneca Schwankungen bei den Lieferungen nicht ausschließen wollte, sagte Hinterding: "Ich persönlich würde keine Unmengen an Impfdosen im Kühlschrank liegen lassen." Es bestünde aber keine Gefahr, dass Impfstoff tatsächlich verfalle. Bei Kühlschranktemperaturen sei das Vakzin bis zu sechs Monate haltbar.

Nach neuen Studiendaten aus England und Schottland, die die Wirksamkeit und Sicherheit des Impfstoffs auch bei älteren Menschen eindeutig belegen, hat die Ständige Impfkommission (Stiko) das Mittel von Astrazeneca mittlerweile auch für Menschen über 65 Jahren empfohlen.

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In vielen anderen Ländern wurden schon von Beginn an alle Altersgruppen damit geimpft. Die neue Freigabe könnte den Impf-Stau in Deutschland entspannen. "Ich bin davon überzeugt, dass es sich in die richtige Richtung entwickelt", sagte Hinterding. "Die Impfungen sind der einzige Weg aus der Pandemie. Ohne den Astrazeneca-Impfstoff schaffen wir es nicht. Diese Erkenntnis wird sich durchsetzen."

In dieser Woche ist erstmals die Lieferung von 250.000 Astrazeneca-Impfdosen aus der EU nach Australien gestoppt worden. Es war die erste Maßnahme dieser Art, nachdem die EU eine Exportkontrolle von Impfstoffen eingeführt hatte, um eine Benachteiligung der Staatengemeinschaft zu verhindern.

Zu Anträgen auf Ausfuhren aus der Europäischen Union und konkret zugesagten Liefermengen wollte Hinterding sich jedoch nicht äußern.

Titelfoto: Hannibal Hanschke/REUTERS/Pool/dpa

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