Wie fangen wir die Corona-Leugner wieder ein?
Dresden - Verschwörungsmythen verteufeln Migration, Impfen oder 5G und leugnen Klimawandel, Mondlandung, Holocaust sowie neuerdings auch das Coronavirus. In den USA gab es bereits Fälle von Corona-Kranken, die noch auf dem Sterbebett sagten, das Virus sei nicht real. Krude Theorien treiben inzwischen Keile zwischen Familien, Freundeskreise und Arbeitskollektive. Doch was kann und muss man tun, wenn plötzlich Verschwörungsideologen im eigenen, vertrauten Umfeld auftauchen und langsam Freundschaften zerfressen?
Wie reagiere ich, wenn meine Liebsten plötzlich Coronaleugner sind? Wir fragten den Soziologen Benjamin Winkler (35), Fachreferent für Reichs- und Verschwörungsideologie bei der Amadeu Antonio Stiftung in Sachsen.
TAG24: Herr Winkler, wer ist eigentlich gefährdet, einem Verschwörungsmythos zu verfallen?
Benjamin Winkler: Das kann jeden treffen. Formale Bildung spielt eher keine Rolle. Männer scheinen etwas häufiger betroffen zu sein als Frauen. Vielleicht liegt das am veränderten Rollenbild des Mannes. Er kann sich in einer Welt der gefühlten kulturellen Entfremdung als Verschwörungsideologe ein neues Publikum verschaffen, das ihm als Aufklärer aufmerksam zuhört.
Eine Studie der Deutschen Bank sieht Coronaleugner-Regionen am häufigsten in Sachsen. Auch der Südwesten scheint bedeutsam zu sein. Es gibt Vermutungen, dass eine Art deutscher "Bibel-Gürtel" mit fundamentalen Kräften entstanden ist.
TAG24: Wie geht man mit Freunden und Bekannten um, die plötzlich Corona-Leugner oder Impfgegner geworden sind?
Winkler: Wer erst seit kurzer Zeit Verschwörungsmythen verfallen ist, der ist noch empfänglich für Fakten und Argumente. Man kann ihn fragen: Woher stammt dein Zweifel? Man kann gemeinsam seine Informationsquellen bei YouTube oder Telegram auf Seriosität prüfen, um die Radikalisierungskette zu durchbrechen.
TAG24: Doch was ist, wenn gute Argumente einfach abprallen?
Winkler: Aufklärung mit sachlichen Fakten funktioniert tatsächlich nur am Anfang einer Radikalisierung - und auch dann nicht lange. Corona-Leugner halten die Bilder von den Särgen aus Bergamo und New York schlicht für gefälscht. Mit Fakten zu argumentieren, ist dann keine gute Idee. Man muss deren Wahrheit dann zunächst für sich akzeptieren, obwohl sie falsch und gefährlich ist.
TAG24: ... und damit eine Freundschaft aufgeben?
Winkler: Der Schlüssel des weiteren gemeinsamen Miteinanders ist, das Thema Verschwörungen rigoros auszublenden. Denn sowohl Ablehnung als auch Verständnis würden den Glauben an Verschwörungen verstärken. Stattdessen stellt man persönliche Fragen: Seit wann interessiert dich das? Was war der Auslöser? Welche Sorgen bedrücken dich gerade in deinem Leben? Über die emotionale Ebene erhält man wieder Zugang zu der Person. Denn oft ist eine Verschwörungstheorie der Kitt, um Ursachen nicht bei sich selbst zu suchen. Das ist übrigens eine erfolgreich praktizierte Methode aus der Ausstiegsberatung bei Extremisten.
TAG24: Wie ernst muss ich Verschwörer überhaupt nehmen?
Winkler: In Zeiten von terroristischen Anschlägen wie in Hanau und Halle muss man bei Gewaltfantasien wachsam sein. Niemand will sich hinterher vorwerfen lassen, die Signale gehört, aber nichts getan zu haben. Das hat nichts mit Denunziantentum zu tun. Doch wenn jemand sagt, Demos würden nicht mehr ausreichen und zu Gewalt aufruft - im Zweifel lieber die Polizei rufen. Denn oft bleibt es nicht bei der Drohung.
Geduld kennt auch Grenzen
Auch im Bekanntenkreis von Theologe Heinz Eggert (74) in Oybin (bei Zittau) gibt es Verschwörungserzähler: "Ich diskutiere mit jedem, der nicht nur mit sich selbst sprechen will. Doch wenn ich heraushöre, dass jemand nur seine eigene Meinung bestätigt haben will, breche ich das Gespräch ab, weil es keine Grundlage mehr gibt."
Eggert war zwischen 1991 und 1995 Sächsischer Innenminister, ging mit der von ihm gegründeten "SOKO REX" gegen rechtsextremistische Gewalttaten und Übergriffe vor.
Heute laufen bei den Corona-Demos wieder Rechtsextreme, Reichsbürger und religiöse Fanatiker mit. Sie alle eint: Die "Mächtigen" sollen zur Rechenschaft gezogen werden. Danach gäbe es Frieden, neue Jobs und Naturschutz.
Eggert: "Jeder Demo-Teilnehmer sollte bedenken, dass er selbst für seine Gesellschaft verantwortlich ist."
8 Tipps für den privaten Umgang
- Nicht öffentlich und auf Augenhöhe diskutieren: Zweifel ernst nehmen, nicht zu konfrontativ und mit viel Einfühlungsvermögen agieren.
- Einblick gewinnen: Für welches grundlegende Problem scheint ein Verschwörungsmythos eine Antwort zu liefern?
- Gemeinsame Basis festlegen: Auf Grundlage von Menschenrechten diskutieren. Niemand soll abgewertet werden.
- Zusammen recherchieren: Aus welcher Quelle stammt die Information? Hilfreich sind der ARD-Faktenfinder oder der Correctiv-Faktencheck.
- Unwissen aushalten: Wir haben zurzeit noch nicht genügend gesicherte Informationen über das Virus. Unsicherheiten bei der neuartigen Covid-19-Pandemie sind normal.
- Vertrauenswürdige Informationen verwenden: Seriöse Informationen kommen z.B. vom Robert-Koch-Institut, der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung und von bekannten Virologen sowie Wissenschaftlern.
- Grenzen aufzeigen: Klar menschenfeindliche (rassistische, antisemitische, sexistische) Inhalte zurückweisen und aufzeigen, wo inhaltlich Schluss ist. Solidarisieren Sie sich mit Betroffenen.
- Zeit nehmen: Aufklärung braucht Zeit, Geduld, Empathie. Vorteil im privaten Umfeld: Man kennt die Person, kann immer wieder ins Gespräch kommen.
Titelfoto: Bildmontage: imago images/Jochen Eckel, imago images/Reichwein