Long Covid: Infizierte klagen über rätselhafte Folge-Erkrankungen
Dresden - Das Coronavirus gibt Wissenschaftlern und Ärzten weiter Rätsel auf. So leidet laut einer Studie etwa jeder zehnte Infizierte an Langzeitfolgen. Allein in Sachsen wären das fast 19.000 Fälle. TAG24 sprach mit Betroffenen und Medizinern über die rätselhafte Krankheit.
Die Symptome des sogenannten Long-Covid-Syndroms halten die Betroffenen über Wochen und Monate im Würgegriff. Kein Krankheitsbild gleicht dem anderen. Das macht die Behandlung schwierig.
Aber was meint eigentlich Long Covid? "Das ist eine der schwersten Fragen, die Sie mir überhaupt stellen können", sagt Prof. Dr. Andreas Stallmach (61) von der Post-Covid-Ambulanz der Uniklinik Jena.
Generell gelten Menschen, die nach einer Covid-19-Erkrankung unter Folgeschäden oder Symptomen leiden, als Patienten mit einem Long-Covid- oder Post-Covid-Syndrom.
"Wie lang 'Long' dabei wirklich ist, können wir noch nicht sagen, weil wir Covid-19 erst seit einem Jahr kennen", sagt der Mediziner.
Die Symptome sind dabei sehr unspezifisch, können also nicht deutlich dem Syndrom zugeordnet werden.
Coronavirus verursacht eine "Art Nebel im Gehirn"
Am häufigsten ist das chronische Müdigkeits-Syndrom. "Patienten fühlen sich in ihrer Leistungsfähigkeit deutlich eingeschränkt, sind müde, schlapp, haben Konzentrations- oder Schlafstörungen, einige auch Depressionen", erklärt der Direktor der Klinik für Innere Medizin.
Auch Herzmuskelentzündungen, anhaltende Atemnot sowie Geruchs- und Geschmacksstörungen treten oft auf.
Warum es zu diesen Langzeitfolgen kommt, ist noch nicht ganz klar. "Bei einer Covid-19-Erkrankung kommt es zu einer Aktivierung des Immunsystems, Botenstoffe werden ausgeschüttet, die Entzündungen auslösen und weitere Organe schädigen", erklärt Prof. Stallmach.
Das eigene Immunsystem attackiert quasi im Kampf gegen das Coronavirus das Nervensystem und könnte so zum Beispiel eine "Art Nebel im Gehirn" auslösen.
Long-Covid-Betroffene berichtet: "Ich war zu nichts mehr in der Lage"
Margit Dressel (53) arbeitete in einer Apotheke, war kerngesund. Dann im November infizierte sie sich mit Corona. Am Freitag, den 13., machte sie einen Test. Das Ergebnis: positiv!
"Seitdem bin ich krank", sagt sie niedergeschlagen. Wo sie sich angesteckt hat, weiß sie nicht. "Es sind ja auch immer Leute unterwegs, die Corona nicht ernst nehmen und leichtsinnig sind", erzählt die Ehrenfriedersdorferin.
Glücklicherweise musste sie nicht ins Krankenhaus, fühlte sich aber in den ersten Tagen und Wochen "wie vom Panzer überrollt". "Ich war zu nichts mehr in der Lage, habe sehr viel geschlafen. Jeden Tag tat etwas anderes weh", schildert sie.
Auch Kurzatmigkeit gehörte zu den Anfangssymptomen. Der typische Geruchs- und Geschmacksverlust hingegen nicht. "Ich hatte aber keinen Appetit. Ich saß am Frühstückstisch und habe nicht mal eine halbe Schnitte geschafft, weil ich dafür keine Kraft hatte."
Bis Weihnachten ging das so. Dann kamen neue Beschwerden hinzu. "Ich hatte das Gefühl, als ob ich einen Sonnenbrand hätte, auch innerlich", berichtet sie.
Schlimmer waren die beginnenden Herzprobleme. "Ich bin mit rasendem Puls aufgewacht. Ich dachte, mein Herz schlägt zum Hals raus." Seitdem gehören Herzmedikamente zu ihrem Leben dazu.
"Ich habe so große Sehnsucht nach Normalität"
Neben ständiger Kraftlosigkeit und Erschöpfung macht ihr bis heute vor allem anhaltender Schwindel zu schaffen. "Das ist, wie wenn man auf einem schwankenden Schiff läuft", beschreibt die dreifache Mutter.
"Und so wanke ich durch den Tag. Ich kann nicht alleine raus, schaff es mal bis zur Mülltonne, wo ich mich an der Hauswand entlang hangeln kann."
Um ihrem Leiden auf den Grund zu gehen, wurden Bluttests gemacht und die Organe gecheckt. Zweimal in der Woche geht sie zur Physiotherapie zum Schwindeltraining, will außerdem eine Reha beantragen.
"Es wäre einfacher, wenn man wüsste, was Corona im Körper gemacht hat und man gezielt ein Medikament nehmen könnte", klagt die Erzgebirgerin.
"Ich habe so große Sehnsucht nach Normalität, zum Beispiel allein zum Bäcker zu laufen. Aber niemand weiß, wie lange das noch dauert."
Langzeit-Patientin erinnert sich: "Blutdruck rauschte rauf und runter"
Auch Claudia Möbius (52) hatte keine Vorerkrankungen, war sogar begeisterte Läuferin. Heute undenkbar! Seit zwei Monaten kämpft sie mit den Folgen ihrer Covid-Erkrankung.
Erste Symptome traten bei der Mutter zweier Kinder an Heiligabend auf - Erkältungssymptome wie Halsschmerzen, Schnupfen und Kopfschmerzen, später auch Fieber. Zwei Wochen lang hielten sich diese hartnäckig, dann schien es bergauf zu gehen.
Doch dann der Rückschlag. Plötzlich fuhr ihr Kreislauf Achterbahn. "Ich hatte Mühe morgens aufzustehen. Mir war extrem schwindelig, mein Blutdruck rauschte nach oben und wieder runter. Ich war richtig bettlägerig", erzählt sie.
Cortison stabilisierte ihren Kreislauf, jedoch tauchten andere Beschwerden auf und blieben. "Ich bin schnell erschöpft, habe Glieder-, Kopf- und Augenschmerzen, bin unkonzentriert, meine Arme und mein Gesicht werden taub", zählt sie auf.
Zu schaffen macht ihr auch die Vergesslichkeit. "Ich sollte mal meine Tochter abholen und fahre und fahre und bin nach Hause gefahren. Ich habe mit keiner Silbe mehr an sie gedacht", nennt sie ein Beispiel. "Ich muss mir jetzt alles aufschreiben."
Selbst ein Telefonat kann einen schon außer Atem bringen
Herz- und Lungenspezialisten stellten bei der Leipzigerin schließlich fest, dass ihr Herz keine Belastung mehr aushält, ihre Lunge nur noch 80 Prozent Leistungsfähigkeit hat.
"Nach kurzen Wegstrecken habe ich kaum noch Luft. Auch Telefonate bringen mich außer Atem", erzählt Claudia Möbius betrübt.
Ihrer Arbeit im Call Center einer Onlinebank kann sie deshalb aktuell nicht nachgehen. Die Hoffnung, dass alles wieder gut wird, gibt sie aber nicht auf.
Auch die Politik ist beim Thema "Long Covid" gefordert
Im Mai 2020 gründete sich die "Langzeit COVID Selbsthilfegruppe", die Betroffenen online eine Gesprächsplattform bietet. Inzwischen zählt sie über 2000 Mitglieder und hat eine Petition gestartet.
Darin fordern sie von Jens Spahn (40, CDU), den Bundesgesundheitsminister, sowie die Bundesministerin für Bildung und Forschung Anja Karliczek (49, CDU) unter anderem eine zentrale Koordinierungsstelle für Long-Covid-Belange.
Außerdem wollen sie die Einrichtung und Vernetzung von regionalen, fachübergreifenden Ambulanzen zur Akut- und Nachbetreuung sowie die öffentliche Anerkennung von Long Covid und der daraus resultierenden Arbeitsunfähigkeit.
Mehr Informationen zu der Selbsthilfegruppe findet Ihr auf der offiziellen Webseite unter "c19langzeitbeschwerden.de".
Titelfoto: Kateryna Kon/123RF