Corona-Krise: Paketboten müssen ran wie sonst nur im Advent
Dresden - Alle loben die Helden des Alltags, die sich derzeit nicht einfach ins Homeoffice zurückziehen können: Ärzte, Krankenschwestern, Pfleger, Bus- und Straßenbahnfahrer, Verkäufer und Kassiererinnen.
Sie halten nicht nur das öffentliche Leben am Laufen, sondern müssen oft auch mehr ackern als vor der Krise - so wie Postzusteller.
Sie schleppen uns auch in Corona-Zeiten Tag für Tag unbeirrt Briefe und Pakete ins Haus. Und das pünktlich und ohne Kontaktscheue.
Wir waren eine Schicht lang mit einer Postzustellerin unterwegs und erlebten einen Tag zwischen Paketbergen, Kernseife und selbst gebackenem Kuchen.
Wer bekommt derzeit die meisten Pakete in Ottendorf-Okrilla (bei Dresden)?
Die elektronischen Empfangsquittungen mit den Unterschriften verraten es. Aber komisch, dort taucht fast immer der Name "Karolin Rubbel" auf. Wer ist diese Frau, die alle Pakete quittiert?
Karolin Rubbel ist 31 Jahre alt, wohnt in Großenhain und arbeitet als Zustellerin bei der Deutschen Post.
"Derzeit quittieren wir ausgelieferte Pakete mit der eigenen Unterschrift - aus Hygieneschutzgründen, um unsere Kunden vor zu viel Nähe und vor den Viren auf dem Smartscanner zu schützen", löst die 31-Jährige das Rätsel schnell auf.
Zumindest die Straßen sind leerer
Zu Schichtbeginn belädt sie ihren gelben DHL-Transporter. "Sind es sonst zwischen 70 und 90 Pakete, packe ich jetzt durchschnittlich 130 rein. Einmal waren es sogar 190", erzählt sie über vergangene Corona-Tage.
Die Zustellzahlen haben in der Krise Vorweihnachtsniveau erreicht! Weil wochenlang die Geschäfte dicht waren, bestellten viele online, machten damit den Paketzustellern mächtig Beine.
Doch laufen müssen sie längst nicht mehr. Karolin düst kaum hörbar mit einem Elektro-Streetscooter durch ihren Zustellbezirk in Ottendorf-Okrilla. Bremse, Gas, nur drei Gänge: vorwärts, rückwärts und Speed.
"Die Elektro-Fahrzeuge sind inzwischen so beliebt, dass wir Zusteller uns förmlich um sie streiten." Die Alternative wäre ein herkömmlicher T5-Transporter. "Doch bei dem ist die Ladefläche viel niedriger, wodurch sich schwere Pakete schwerer herausnehmen lassen."
Die wenigen Elektrischen sind derzeit zwar proppenvoll beladen, doch die Touren dauern kaum länger. "In Corona-Zeiten sind fast alle meine Kunden zu Hause, können ihre Pakete persönlich in Empfang nehmen."
Das spart den sonst oft zusätzlichen Weg zum Nachbarn. Auch die Straßen sind leerer, Parkflächen häufiger leer.
Fast lautlos rollt das DHL-Elektroauto los. Mit an Bord sind seit Corona ein Wasserkanister, Desinfektionsmittel, -tücher und Olivenöl-Kernseife. "Damit desinfiziere ich mir fünfmal am Tag die Hände", sagt Karolin und führt das Ankippen-einseifen-rubbeln-abtrocken-Prozedere vor.
Frisch desinfiziert geht's zur nächsten Adresse. Die Familie baut sich gerade ein neues Haus aus und lässt sich von Karolin peu à peu den halben Hausstand an die Tür schleppen - Plissees, Badschränke, Lampen.
"Weil die Baumärkte geschlossen hatten, haben sich manche Gartenstühle, Rasenmäher, Pflanzen, aber auch Fernseher mit der Post schicken lassen." Auch lebende Bienen hat Karolin schon ausgeliefert.
Den nächsten Adressaten trifft sie wieder persönlich an. Ronny Papke (45) gibt zu: "Ich hasse einkaufen, bestelle lieber online." Diesmal ein Podest für die Waschmaschine. Er hat sich längst daran gewöhnt, dass seine Postfrau mit Mundschutz plötzlich wie eine OP-Schwester aussieht.
Zudem werden Pakete auch noch völlig berührungslos übergeben: vor die Tür legen, klingeln, dann zurücktreten und Vorsicht an den Stolperkanten.
Für Rentner und Hochrisikopatienten ist Karolin dieser Tage die einzige, die regelmäßig Kontakt mit ihnen hat - wenn es auch nur ein Winken am geschlossenen Fenster ist. "Auch wer in häuslicher Quarantäne ist, macht die Tür nicht mehr auf." Manche haben auch sogenannte Ablageverträge abgeschlossen.
"Darin legt ein Postkunde Wunschorte fest, wohin wir Pakete legen sollen, wenn er nicht zu Hause ist", erklärt Karolin. So soll sie Sendungen manchmal in der Kissenbox auf der Veranda hinterm Haus, im Kofferraum des Familienautos oder auch in der Mülltonne hinterlegen. Dann darf hinter dem Postauto allerdings nicht das Müllauto aufkreuzen...
Die Zustellteams im Zentrum wurden in zwei Wellen gesplittet, damit sie sich nicht in die Quere kommen können. Ein Stück Kuchen bringt sie symbolisch wieder zusammen: Der ersten Schicht gehören die ersten Stückchen, die zweite isst ihn auf.
Die Idee hatte Karolin, die zu ihrem Geburtstag Anfang Mai Rhabarber- und Quarkkuchen mitbrachte.
"Das tröstet auch unsere älteren Zusteller, die sich anfangs Sorgen machten, sich anstecken zu können." Doch die Schutzmaßnahmen scheinen zu wirken. Bislang gab es nur Verdachtsfälle im riesigen Verteilerzentrum.
Zu Schichtende sind der Streetscooter leer und 130 Pakete ausgeliefert. "Wenn ich nach dem letzten Paket noch Zeit habe, biete ich per Handy Hilfe für andere Zusteller an, damit alle pünktlich Feierabend machen können." Wenn derzeit also mal nicht die angestammte Postfrau bei uns klingelt, hilft mal wieder jemand freundlich aus.
Nach den maximal 10-Stunden-und-45-Minuten-Schichten (inklusive Pausen) muss Karolin die Batterien aufladen - ihre eigenen und die vom Streetscooter.
Während sie schläft, rauschen schon die nächsten Paket-Fluten ins Verteilzentrum und alles geht am nächsten Tag wieder von vorn los - ganz normaler Zustellalltag in Corona-Zeiten.
Auch im Verteilzentrum wird jede Hand gebraucht
Corona brachte so viel Arbeit, da musste sogar die Chefin selber mit anpacken.
"Ich habe kurzerhand vom Büro ins Sortierzentrum gewechselt", sagt Marion Oppermann (59), Niederlassungsleiterin des Postverteilzentrums Ottendorf-Okrilla. Ihre jetzt in Ausnahmezeiten rund 1000 Angestellten sortieren täglich 250.000 Pakete.
Als Polen und Tschechien ab Mitte März die Grenzen dicht machten, durften viele ihrer Angestellten plötzlich nicht mehr in ihr Heimatland zurück.
"30 polnische und tschechische Mitarbeiter wurden spontan von ihren sächsischen Kollegen zu Hause aufgenommen."
Um die immense Postflut sortieren und ausliefern zu können, sollten Aushilfskräfte angeheuert werden, die auf Kurzarbeit gesetzt waren und zu Hause saßen.
Titelfoto: Steffen Füssel