Plus eins erlaubt, Berührung verboten: Eremit erklärt, wie man mit Einsamkeit fertig wird
Nußdorf am Inn - Für manche in Bayern könnte es sich so anfühlen, als erwachten sie am Montag in einer neuen Welt. Nach mehr als vier Wochen dürfen sie immerhin eine Person außerhalb des eigenen Hausstands treffen.
Mit dieser Lockerung der Ausgangsbeschränkung schwenkt die Staatsregierung auf die auch in anderen Bundesländern geltende Regel ein. Gerade Alleinstehende und Singles hatten am Kontaktverbot zu knabbern. Es droht Einsamkeit.
"Einsamkeit fühlt sich schmerzhaft an und geht oft mit Traurigkeit und einem Gefühl von Kontrollverlust einher", erklärt die Deutsche Gesellschaft für Psychologie (DGPs). Dabei gebe es große Unterschiede zwischen Menschen: "Manchen reicht es, wenn sie einmal am Tag mit jemandem telefonieren, andere brauchen eigentlich immer ihre Freunde um sich herum."
In Deutschland lebten nach Angaben des Statistischen Bundesamts im Jahr 2018 fast 17 Millionen Menschen alleine in ihrer Wohnung, 35 Prozent davon waren 65 Jahre und älter. In Bayern listet die Statistik rund 2,7 Millionen Einpersonenhaushalte auf - was mehr als 40 Prozent der Privathaushalte im Freistaat.
Und auch wenn man nun mit einer anderen Person zum Beispiel joggen darf, bleibt es beim Abstandhalten.
Konkret heißt das für alleine lebende Menschen: keine Umarmung, kein Schulterklopfen, kein Kuss, kein Händeschütteln - wobei das in Corona-Zeiten ja eh verpönt ist.
Eremit lebt einsam auf einem Berg und weiß, was es heißt, allein zu sein
"Das ist eine sehr schwierige Situation", sagt einer, der weiß, wie es sich anfühlt, weitgehend für sich zu sein: Bruder Damian lebt als Eremit in einer Einsiedelei bei Nußdorf am Inn (Landkreis Rosenheim).
Der 59-Jährige hat sich das freiwillig ausgesucht, ist vor mehr als einem Jahr aus einem Kloster hierher gewechselt und kommt nach eigenen Worten gut damit klar. "Der Mensch muss lernen, mit sich selbst fertig zu werden", sagt er.
Gerade das sei wichtig, wenn einem die Decke auf den Kopf fällt, sagt Bruder Damian: nach draußen gehen. Und man sollte sich einen ganz streng strukturierten Tagesplan zulegen und sich nur zu bestimmten Zeiten mit sich selbst befassen. "Dann kann man nachdenken, was wirklich wichtig ist im Leben und was man auch selbst ändern kann."
Tipps, die auch die DGPs gibt: "Eine Struktur hilft gegen das Chaos im Alltag, gibt Sicherheit und hilft, mit Stresssituationen umzugehen." Dem Grübeln sollten Grenzen gesetzt werden.
Positive Gedanken könnten sein, welche Stärken man hat oder dass man jetzt Dinge tun kann, für die sonst keine Zeit war - wie ein Hobby.
Tipps gegen Einsamkeit: Bruder Damian weiß Rat
Hilfreich sei es zudem, auf anderen Wegen Kontakt zu halten: "Über Messenger-Dienste wie WhatsApp oder Skype können wir nicht nur Textnachrichten austauschen, sondern auch Fotos, Sprachnachrichten und sogar per Video miteinander sprechen", so die DGPs.
Und man solle andere um Hilfe bitten. "Für viele Menschen ist Einsamkeit ein Tabuthema – wir möchten anderen gegenüber nicht gerne zugeben, dass wir uns einsam fühlen. Aber für Einsamkeit braucht man sich nicht zu schämen, und es ist auch kein Zeichen von Schwäche." Auch auf andere sollte man achten, ob sie vielleicht einsam sind.
Allerdings weist die DGPs auch darauf hin, dass Einsamkeit nicht mit Alleinesein verwechselt werden dürfe. Nur weil keine anderen Menschen in der Nähe sind, muss es einem nicht automatisch schlecht gehen. "Viele Menschen nehmen sich bewusst Zeit für sich alleine, um dem Trubel des Alltags zu entgehen und ein wenig Ruhe zu haben."
Bruder Damian rät auch zum Vergleich mit anderen: Menschen in ärmeren Ländern oder der Kriegsgeneration, die ganz andere Zustände ertrug. So könne man sich vergewissern, wie gut es einem gehe, wenn man selbst, aber auch Freunde und Verwandte gesund seien.
"Freundschaft wird an Wert gewinnen", ist der 59-Jährige überzeugt. Zum einen merke man jetzt, wer wirklich für einen da sei und zu wem der Kontakt auch auf Distanz halte. Zum anderen dürften Begegnungen, wenn sie in Zukunft irgendwann wieder erlaubt werden, inniger werden, prognostiziert er.
"Und man sollte sich in dieser Phase, die sehr dunkel ist für diese Welt, auch etwas Positives für danach vornehmen", sagt der Katholik. "Eine Party zum Beispiel."
Titelfoto: Peter Kneffel/dpa