Zurück aus dem Ruhestand: So hilft dieser Arzt jetzt in der Corona-Krise

Aalen - Askan Hendrischke hat ein langes Berufsleben als Arzt hinter sich. Im Dezember 2018 wurde er als Chefarzt der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie im Ostalb-Klinikum Aalen in den Ruhestand verabschiedet.

Ende 2018 ging Askan Hendrischke (68) in den Ruhestand, nun ist er wieder aktiv.
Ende 2018 ging Askan Hendrischke (68) in den Ruhestand, nun ist er wieder aktiv.  © Stefan Puchner/dpa

Doch die Corona-Krise treibt auch den 68-Jährigen um: "Was können wir bei der Corona-Infektionswelle tun?" Diese Frage stellte er sich mit einigen Kollegen. 

Zunächst half Hendrischke im Gesundheitsamt aus, um Menschen, die positiv auf das Coronavirus getestet wurden, über das Testergebnis zu informieren. Jetzt betreibt er zusammen mit Kollegen eine Art Telefonsprechstunde, um Ansprechpartner für Bürger in der Corona-Krise zu sein.

Die Landesärztekammer hatte zuvor Ärzte um Hilfe gebeten, die bislang nicht in der medizinischen Regelversorgung arbeiten. 

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Darunter fallen etwa Ärzte in Elternzeit, in Pressestellen oder eben im Ruhestand. Mehr als 2000 Mediziner haben sich nach Angaben der Kammer gemeldet. 

Nach den Worten von Sozialminister Manne Lucha (Grüne) wird aber darauf geachtet, dass Ärzte im fortgeschrittenen Alter nicht selber mit Corona-Patienten in Kontakt kommen.

"Für mich war klar: Ich bin 68 Jahre alt und kann nicht dicht an Patienten arbeiten", erklärt auch Hendrischke. Zu hoch ist in diesem Alter das Risiko, nach einer Ansteckung selbst schwer an Covid-19 zu erkranken. Er sah aber die Nöte des Gesundheitsamtes im Ostalbkreis, das wegen der vielen Tests und Anfragen zum Coronavirus personell kaum noch über die Runden kam.

Die Menschen haben am Telefon auch Schuldgefühle

Am Telefon bemerkte der Mediziner, wie groß die Ängste der Menschen wegen des Coronavirus sind. (Symbolbild)
Am Telefon bemerkte der Mediziner, wie groß die Ängste der Menschen wegen des Coronavirus sind. (Symbolbild)  © Jan-Philipp Strobel/dpa

In seinen ersten Telefonaten im Auftrag des Gesundheitsamtes merkte Hendrischke, dass die Sorgen und Ängste der Menschen wegen des Coronavirus groß sind. 

Sie reichten von Panik und Gefühlen der Einsamkeit bis hin zu Hoffnungslosigkeit und der Schuld, andere mit dem Virus angesteckt zu haben.

"Daraus wurde die Idee geboren: Wir müssen selbst ein Angebot machen, an das sich die Menschen wenden können." 

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Nun sitzt er im Wechsel mit sechs bis sieben Kollegen jeden Tag zwischen 10 Uhr und 14 Uhr am Telefon. Sie alle haben dazu die entsprechende fachmedizinische Ausbildung. Hendrischke ist Facharzt für Psychosomatik und Psychotherapie sowie Facharzt für Allgemeinmedizin.

Das Landratsamt Ostalb ist dankbar für das Engagement von Menschen wie Hendrischke.

"Im Zusammenhang mit Corona hat sich herausgestellt, dass die Situation der häuslichen Isolation und natürlich vor allem in schwereren Fällen auch der Krankheitsverlauf für Erkrankte und deren Angehörige zu emotionalen Belastungen führen kann", erklärt eine Sprecherin.

Und weiter: "Über die normale Hotline des Gesundheitsamts, die vorwiegend für die medizinisch-fachliche Aufklärung gedacht ist, kann dieser Personenkreis nicht adäquat unterstützt werden."

Hendrischke: "Wir haben das alle unterschätzt"

Februar 2020: Eine Intensivstation in Peking.
Februar 2020: Eine Intensivstation in Peking.  © Zhang Yuwei/XinHua/dpa

Nach Hendrischkes Worten meldete sich etwa ein Anrufer, dessen Vater mit einem schweren Verlauf der Lungenkrankheit Covid-19 in der Klinik lag. 

Der Anrufer konnte nicht zu seiner betagten Mutter, weil er sich selbst mit dem Virus angesteckt hatte - das alles belastete ihn.

Die Mutter, eine gestandene Bäuerin, wollte sich aber nicht helfen lassen, obwohl sie vor der größten Herausforderung ihres Lebens stand. Zugleich gab es die Sorge, sich nicht vom Todkranken verabschieden zu dürfen. "Das belastet die Menschen am meisten, wenn sie nicht dabei sein können, wenn die Angehörigen sterben."

Und es meldete sich eine alleinerziehende Mutter, die mit vier Kindern im vierten Stock wohnt und die "am Rad drehte", weil die beengte Lage für alle schwer zu ertragen war. 

Hendrischke erzählt auch von einem Rettungssanitäter, der mit dem Coronavirus so gar nicht klarkam, weil er das Gefühl hatte, nichts gegen das Virus tun zu können. Als Retter fühlte er sich ohnmächtig und hilflos.

Hendrischke versucht, mit den Anrufen zu klären, wie diese sich emotional entlasten könnten. Wie kann man sich ablenken, damit die Gedanken nicht nur um das Coronavirus kreisen? Es gelte, der Angst und Lähmung etwas entgegenzusetzen und etwa zu versuchen, Dinge zu tun, die gut tun, an Dinge zu denken, die schön waren im Leben.

Hendrischke wurde in Lübeck-Travemünde (Schleswig-Holstein) geboren. Der verheiratete Vater zweier Kinder hat schon einiges gesehen - er erlebte auch die Sars-Pandemie 2002/2003 in China mit. Zu Beginn der Corona-Welle habe er noch gedacht: "Die machen sich alle verrückt." Die Tragweite des neuen Virus wurde ihm erst später klar.

Heute sagt er: "Wir haben das alle unterschätzt, Mediziner wie Politiker." In Ansätzen erinnert ihn die heutige Zeit an die 1980er Jahre, als das HIV-Virus bekannt und die ersten Aids-Patienten behandelt wurden. "Auch damals gab es die Angst vor dem unbekannten Erreger."

Er selbst versucht die Dinge mit professionellem Abstand zu sehen. "Man muss Wege für sich finden, dieser Krankheit Covid-19 mit Respekt zu begegnen, ohne sich dabei klein zu machen." Weder Hysterie noch Ignoranz seien jetzt gefragt.

Er steckt immer Desinfektionstücher ein, wenn er das Haus verlassen muss - und überlegt sich, ob er eine Tür mit der Hand oder doch lieber mit dem Ellenbogen öffnen soll.

"Das wird uns sicher noch zwei Jahre beschäftigen", sagt er zum Coronavirus. Die Hotline läuft daher erst einmal auf unbegrenzte Zeit.

Titelfoto: Stefan Puchner/dpa

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