Tickende Zeitbombe: Diese deutsche Stadt ist in ständiger Alarmbereitschaft

Von Anja Sokolow

Oranienburg - Experten vermuten, dass in keiner anderen deutschen Stadt noch so viele Weltkriegsbomben mit gefährlichen chemischen Langzeitzündern im Boden schlummern wie in Oranienburg.

Im Boden unter Oranienburg werden noch rund 250 Blindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg vermutet. (Archivfoto)
Im Boden unter Oranienburg werden noch rund 250 Blindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg vermutet. (Archivfoto)  © Christian Guttmann/Brandenburg News 24/dpa

Rund 16 Prozent der etwa 40 Quadratkilometer sind erst aus dem Kampfmittelverdacht entlassen. Der Rest steht noch aus. Schätzungen zufolge lauern noch etwa 250 Weltkriegsbomben im Boden unter der Kreisstadt nördlich von Berlin.

"Fachleute sagen, es ist keine Frage ob, sondern wann die Bomben explodieren", sagt Stefanie Rose, Dezernentin für Bürgerdienste im Oranienburger Rathaus.

Auch eine Kettenreaktion sei möglich. "Durch die Vibration bei einer Detonation könnte auch eine in der Nähe gelegene Bombe detonieren", erklärt Rose. In der Vergangenheit kam es bereits fünf Mal zu Selbstdetonationen. 1991 wurden ein Mann und ein Mädchen verletzt, als eine 250-Kilo-Bombe in einer Vorortsiedlung unter einer gepflasterten Straße explodierte - die anderen Explosionen gingen für Menschen glimpflich aus.

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Auf Oranienburg wurden laut Stadtverwaltung zum Ende des Krieges mehr als 20.000 Bomben abgeworfen - hauptsächlich 250 und 500 Kilogramm schwer. Die Stadt galt als wichtiges Rüstungszentrum. Besonders auf die Auerwerke hatte man es abgesehen, weil sie im Verdacht standen, Teile für eine Atombombe herzustellen.

Auch die Heinkel-Flugzeugwerke und der Bahnhof waren Angriffsziele. Wegen der besonderen Bodenverhältnisse landeten die Bomben oft so im Boden, dass sie nicht detonierten.

Blindgänger immer wieder an besonders heiklen Stellen gefunden

Aktuell sind auf einem abgesperrten Gelände am Lehnitzsee Munitionsortungs- und Bergungsarbeiten im Gange.
Aktuell sind auf einem abgesperrten Gelände am Lehnitzsee Munitionsortungs- und Bergungsarbeiten im Gange.  © Jens Kalaene/dpa

Die Aufräumarbeiten begannen noch während des Krieges. In der DDR wurden zwischen 1965 und 1990 über 200 Blindgänger beseitigt. "Seit 1990 haben wir auch über 200 Bomben geborgen", sagt Stefanie Rose.

Mehrfach wurden Bomben an besonders heiklen Stellen gefunden: unter einem Hauptheizkessel der Stadtwerke, einem Hortgebäude, unter Wohnhäusern und selbst in Kleingärten.

Das explosive Erbe macht das Leben komplizierter: Immer wieder sind Straßen oder Flächen gesperrt. Wenn eine Entschärfung ansteht, müssen oft tausende Menschen evakuiert werden. Straßen und Bahnstrecken sind dicht. Und die Bomben verursachen mehr Bürokratie: "Man bekommt in Oranienburg nur eine Baugenehmigung, wenn eine Kampfmittelfreiheitsbescheinigung vorliegt", sagt Stefanie Rose.

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Die Beseitigung des Erbes kostet: "Jährlich trägt die Stadt Oranienburg etwa zwei Millionen Euro", sagt Stefanie Rose. Mehr Unterstützung vom Land Brandenburg kam 2019: Oranienburg wurde sogenannte Modellregion.

Mehr Kosten wurden übernommen und der Kampfmittelbeseitigungsdienst bekam mehr Kompetenzen und Personal, um die Blindgänger schneller aufzuspüren und zu entschärfen. Trotzdem bleibt es eine Mammutaufgabe.

Titelfoto: Jens Kalaene/dpa

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