Zwischen Kriegslust und Abneigung: So stehen die Russen zu ihrer Politik
Moskau - Stehen die Russen wirklich hinter ihrem Präsidenten Wladimir Putin (70)? Der Politologe und ehemalige Redenschreiber des russischen Machthabers, Abbas Galljamow (50), wertet aktuelle Umfragen aus und wagt einen Blick hinter die Kulissen der Bevölkerung aus dem größten Land der Erde.
Kommenden Freitag (24. Februar) jährt sich der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine. Ein langes Jahr voller Tod, Leid und ungelöster Konflikte liegt hinter der Welt - und kein Ende ist in Sicht. Doch eine Frage kommt häufig zu kurz: Wie stehen eigentlich die Russen selbst zum Krieg und zu ihrer Regierung?
Der russische Politikwissenschaftler und Kreml-Kenner Abbas Galljamow vom politischen Institut "We can explain" wertete mehrere Dutzend Umfragen hierzu aus, darunter die der Institute Levada und Zircon, die zumindest bis vor Kriegsbeginn als unabhängig galten.
Seine bittere Bilanz: Mehr als die Hälfte der Russen steht unerschütterlich an der Seite Putins!
Diese Unterstützung könnte nach Auffassung des früheren Redenschreibers des russischen Machthabers jedoch bröckeln, wenn sich der Krieg noch in die Länge ziehe und die wirtschaftlichen Sanktionen gegen das Land ihre volle Wirkung erzielen.
Obwohl Umfragen im Riesenreich Russland stets mit Vorsicht zu genießen sind und ihre Seriosität genauestens geprüft werden müssen, lässt sich eine Art roter Faden erkennen: Jedes Mal, wenn der russische Präsident Krieg führte, schossen seine Umfragewerte durch die Decke. Als Beispiel hierfür lassen sich der Zweite Tschetschenien-Krieg 1999, der Angriff auf Georgien 2008 sowie die völkerrechtswidrige Besetzung der Krim 2014 anführen.
Auch beim russischen Einmarsch in die Ukraine stiegen Putins Beliebtheitswerte.
1) Contra Putin: Diese Gruppe ist gegen das Regime und gegen den Krieg
Abbas Galljamow sieht die russische Bevölkerung politisch gespalten und teilt sie in insgesamt sechs Gruppen ein.
Die Regimegegner ließen sich nach Galljamows Auffassung auf rund ein Drittel der Bevölkerung taxieren, die in unterschiedlichem Maße und aus unterschiedlichen Gründen contra Putin seien.
In jener Gruppe seien acht Prozent als ausgesprochene Gegner sowohl des Regimes als auch des Ukraine-Kriegs einzustufen.
15 Prozent bezeichnet der Politologe als "Oppositionsperipherie", die mit dem Krieg nicht einverstanden seien, jedoch aus Angst nicht offen dagegen protestieren.
Weitere zehn Prozent stuft der Experte als "Semi-Opposition" ein. Diese Menschen seien zwar keine ideologischen Feinde des Regimes, allerdings unzufrieden mit ihrer Regierung und ihrer Lebensverhältnisse.
2) Pro Putin: Diese Gruppe steht unerschütterlich an der Seite ihres Präsidenten und ist für den Krieg
Zu den drei Gruppen, die sich klar für Putin und den Überfall auf die Ukraine positionieren, gehören rund 40 Prozent loyaler Putin-Unterstützer, die seine Aktionen im Allgemeinen mittragen würden.
10 Prozent würden den "harten Kern" bilden. Hierzu gesellen sich Galljamow zufolge hartgesottene Antiliberale, die alles befürworten, was ihr Präsident tut. Darunter falle auch die "militärische Spezialoperation" in der Ukraine.
Weitere 20 Prozent der russischen Bevölkerung ordnet der erfahrene Politologe der "Machtperipherie" zu. Dieser Anteil sei im Allgemeinen der Rhetorik des Kremls zugeneigt, allerdings die in Russland vorherrschenden Repressionen kritisch beäugen.
Diese Gruppe wünsche sich gesellschaftliche Veränderungen und sei insgesamt progressiv in ihrer politischen Haltung.
3) Unentschlossene und instabile Wählerschaft steht zwischen den Fronten
Eine relativ kleine Gruppe von rund zehn Prozent schreibt Galljamow den sogenannten "Semi-Loyalisten" zu. Diese seien dem Politologen zufolge in ihrer politischen Haltung wankelmütig, aber stünden derzeit noch an Putins Seite und unterstützen das Regime.
Bei gewissen wirtschaftlichen Entwicklungen könnte diese Gruppe allerdings zur Opposition überlaufen.
Ungefähr ein Viertel der Bevölkerung bezeichnet der Experte als unpolitisch. Die Menschen dieser Gruppe seien jedoch der russischen Propaganda verfallen und unterstützen den Krieg in der Ukraine so lange, bis sich ihre eigenen Lebensverhältnisse zu verschlechtern beginnen.
Galljamow zieht folgendes Fazit seiner ausgewerteten Analyse: Zu Beginn des Krieges haben sich Gegner und Befürworter des russischen Regimes ungefähr die Waage gehalten. Während des Krieges seien die Zustimmungswerte für die politischen Entscheidungsträger Russlands gestiegen.
Es sei dennoch nicht auszuschließen, dass das öffentliche Bild je nach Entwicklung der "Sonderoperation" in der Ukraine zu kippen drohe. Insbesondere die nicht zu vernachlässigenden, ärmeren Russen, seien mehr an ihrem eigenen Überleben interessiert als an der Propaganda und der Kriegslust des Kremls.
Titelfoto: Mikhail Metzel/dpa