Weiterhin Zweifel an Prigoschins Tod und viele offene Fragen

Moskau (Russland) - So ganz gelegt haben sich die Zweifel am Tod des Söldnerchefs Jewgeni Prigoschin bei vielen Russen auch Tage nach dem Absturz seines Privatjets nicht.

Ein Porträt des russischen Söldnerführers Jewgeni Prigoschin steht an einer Gedenkstelle in der Nähe des Kremls in Moskau.
Ein Porträt des russischen Söldnerführers Jewgeni Prigoschin steht an einer Gedenkstelle in der Nähe des Kremls in Moskau.  © Alexander Zemlianichenko/AP/dpa

Zwar haben die russischen Ermittler den 62-Jährigen nach einer molekular-genetischen Analyse nun offiziell für tot erklärt. Aber Antworten auf die Frage zur Ursache für den Absturz seines Privatjets am vergangenen Mittwoch bleiben sie bislang schuldig.

Es kursieren weiterhin die Versionen, dass ein Sprengsatz an Bord oder womöglich auch eine versehentlich gezündete Granate die Embraer zum Absturz gebracht haben könnte. Oder war es doch ein gezielter Anschlag mit einer Flugabwehrrakete?

Klar ist nur, dass Prigoschin sehr viele Feinde hatte - und sich mit seinem Aufstand gegen die russische Militärführung am 23./24. Juni Kremlchef Wladimir Putin (70) zum mächtigsten Gegner machte.

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Auch Tage nach dem Absturz der Maschine geht die Mehrheit der politischen Beobachter davon aus, dass vor allem Putin ein Interesse daran hatte, den scharfen Kritiker der russischen Kriegsführung in der Ukraine aus dem Weg zu räumen.

Putin selbst trat noch nach und warf seinem früheren Vertrauten noch nach dessen Ende "schwere Fehler" vor.

Gewalt erreicht ein "neues Niveau"

Ein Lastwagen und ein Kran-Lastwagen verlassen die Absturzstelle des Privatjets in der Nähe des Dorfes Kuschenkino in der Region Twer.
Ein Lastwagen und ein Kran-Lastwagen verlassen die Absturzstelle des Privatjets in der Nähe des Dorfes Kuschenkino in der Region Twer.  © Alexander Zemlianichenko/AP/dpa

Der Kreml weist zurück, etwas mit dem Tod Prigoschins und der anderen sechs Angehörigen der Privatarmee Wagner sowie der drei Besatzungsmitglieder des Flugzeuges zu tun zu haben. In Kommentaren unabhängiger russischer Medien ist dennoch immer wieder von einer "kaltblütigen, öffentlichen Hinrichtung" die Rede.

Dass Prigoschin mit Wagner-Kommandeur Dmitri Utkin und anderen wichtigen Vertretern in einem Flugzeug saß und nicht separat reiste, erklären einige Beobachter damit, dass sich der Geschäftsmann für "unantastbar" gehalten und sich damit in seiner Stellung selbst überschätzt habe. Das habe ihn unvorsichtig gemacht.

Der im Ausland lebende russische Geheimdienstexperte Andrej Soldatow sieht den Absturz in einer Reihe mit anderen großen Mordfällen, als etwa der Oppositionelle Boris Nemzow 2015 in Kremlnähe erschossen oder der frühere Geheimdienstoffizier Alexander Litwinenko 2006 in London mit dem Strahlengift Polonium-210 vergiftet wurde.

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Zugleich sieht er ein "neues Niveau" der Gewalt, weil auch Unbeteiligte - wie etwa die Crew des Flugzeugs - Opfer geworden sind.

"Es war bemerkenswert, dass alle unsere Quellen in Russland, darunter viele im Sicherheitsapparat, sofort vermuteten, dass Prigoschin auf Putins Befehl getötet wurde", sagte Soldatow. Viele hätten das als Rache gesehen für die beim dem Wagner-Aufstand im Juni getöteten Piloten.

Prigoschins Maschine stürzte unweit einer Residenz Putins zwei Monate nach der missglückten Revolte ab - sie war auf dem Weg von Afrika nach St. Petersburg - nach einem Zwischenstopp in Moskau.

An einen Unfall von Jewgeni Prigoschin glauben nur wenige

Im November 2011 servierte Jewgeni Prigoschin in seinem Restaurant außerhalb von Moskau Wladimir Putin ein Essen.
Im November 2011 servierte Jewgeni Prigoschin in seinem Restaurant außerhalb von Moskau Wladimir Putin ein Essen.  © -/AP/dpa

Ein für Diktaturen typisches Bestrafungsmuster und sogar "Züge eines Mafia-Staates" sieht der russische politische Analyst Alexander Baunow bei der US-Denkfabrik Carnegie. Es sei schon unter Sowjetdiktator Josef Stalin üblich gewesen, sich noch einmal "dem Feind/Verräter vor der Vernichtung anzunähern" und den Anschein zu erwecken, dass alles vergeben sei.

Putin hatte sich nach Prigoschins Aufstand noch mit ihm und Wagner-Kommandeuren im Kreml getroffen.

"Das ist wie in Filmen über die Mafia, die feindlichen Gruppen und ihre Bosse kommen zusammen, um dann aufeinander zu schießen", schrieb Baunow. Putin halte sich seit 24 Jahren auch deshalb an der Macht, weil er immer wieder jede Bedrohung ausgeschaltet habe.

Offiziell ermittelt wird nach dem Crash wegen Verstoßes gegen die Sicherheit in der Luftfahrt, aber an einen Unfall glauben nur wenige.

Der prominente Journalist Alexej Wenediktow, Chefredakteur des von den Behörden geschlossenen kremlkritischen Radiosenders Echo Moskwy, meinte, dass Prigoschin sich öffentlich gegen Putin gestellt - und damit als Verräter sein "Ende" besiegelt habe. Der Kremlchef vergebe so eine Bloßstellung nie.

Als "kaltblütiger und berechnender Diktator" habe sich Putin zwei Monate Zeit gelassen, Prigoschins Geschäfte und Strukturen zu analysieren, sagt der Experte Soldatow.

Der Taktiker Putin habe wie so oft aus der Krise eine Chance gemacht. "Er hat versucht, die Erniedrigung des Aufstandes in seinen Vorteil zu verwandeln, indem er Hardliner innerhalb der Armee beseitigt und die Stimme des Dissens in den Militärkreisen unterdrückt hat."

Vor dem Flugzeugabsturz war auch die Absetzung des Vizekommandeurs der Truppen in der Ukraine, General Sergej Surowikin, bekannt geworden.

Eine Reihe von Problemen für Wladimir Putin

Ein Mann stellt eine Kerze an die Gedenkstätte für Jewgeni Prigoschin in Moskau.
Ein Mann stellt eine Kerze an die Gedenkstätte für Jewgeni Prigoschin in Moskau.  © Alexander Zemlianichenko/AP/dpa

Soldatow sieht aber eine Reihe von Problemen für Putin durch Prigoschins Tod. So müsse sich der Kremlchef nun einen neuen Mann fürs Grobe suchen und nicht zuletzt die Generalität inmitten der Schwierigkeiten im Krieg in der Ukraine an der Leine halten. Aus den Wagner-Reihen selbst könnten russischen Medien zufolge Kämpfer zudem versuchen, sich für den Tod Prigoschins zu rächen.

Insgesamt aber muss der Kreml die nun führungslose Wagner-Armee mit Tausenden Kämpfern etwa in Afrika oder in Belarus unter seine Kontrolle bringen. Russland hat stets betont, es werde seine Interessen in Afrika nicht aufgeben. Erste Wagner-Söldner klagen allerdings schon öffentlich, sie bekämen kein Geld mehr - und könnten nicht einmal ihre Behandlung im Krankenhaus bezahlen.

Auch die Beerdigung des Prominenten ist eine breit diskutierte Frage: Wird Prigoschin, der den Titel Held Russlands trug, mit militärischen Ehren auf der nationalen Gedenkstätte mit Heldenallee und Monumenten in der Nähe von Moskau beerdigt? Oder in seiner Heimatstadt St. Petersburg?

Oder, wie von einem Abgeordneten in Moskau vorgeschlagen, in der ostukrainischen Stadt Bachmut, die die Wagner-Armee erobert hatte? Letztere Variante ist nach Meinung von Prigoschin-Kritikern geeignet, damit niemand dorthin pilgern kann.

Schon jetzt gibt es in vielen Städten des Landes Erinnerungsstätten an den Wagner-Chef, der von vielen einfachen Russen wegen seiner scharfen Kritik am Machtapparat geschätzt wurde. Kremlsprecher Dmitri Peskow teilte mit, dass offen sei, ob der Präsident die Beerdigung besuche. Sein Terminkalender sei sehr voll.

Titelfoto: Montage: Alexander Zemlianichenko/AP/dpa (2)

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