Machtkampf in Russland: Söldner marschieren gen Moskau, dann bläst Prigoschin zum Rückzug

Moskau - Der bewaffnete Aufstand russischer Söldner gegen die eigene Staatsführung inmitten des Ukraine-Kriegs scheint von kurzer Dauer geblieben zu sein. Nur wenige Stunden nach Beginn des Vormarschs gen Moskau erteilte Söldnerchef Jewgeni Prigoschin (62) am Samstagabend den Befehl zum Rückzug seiner berüchtigten Privatarmee. Kurz darauf gaben die Söldner ihre bis dahin gehaltenen Stellungen im Süden Russlands auf.

Ein gepanzertes Fahrzeug ist in der russischen Stadt Rostow am Don unterwegs.
Ein gepanzertes Fahrzeug ist in der russischen Stadt Rostow am Don unterwegs.  © APTN/AP/dpa

Prigoschin selbst werde unbehindert ins Nachbarland Belarus gehen, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Samstag nach Angaben der russischen Nachrichtenagentur Interfax.

Als Garantie für den freien Abzug habe der einstige Vertraute von Kremlchef Wladimir Putin (70) "das Wort des Präsidenten".

Obwohl Putin noch am Morgen die Bestrafung der Aufständischen angekündigt hatte, gab es am Abend anderslautende Erklärungen aus dem Kreml.

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Auch die Kämpfer der Wagner-Truppe sollen angesichts ihrer Verdienste an der Front in der Ukraine nicht strafrechtlich verfolgt werden, wie Peskow versicherte.

Vielmehr werde einem Teil der Söldner ein Angebot unterbreitet, sich vertraglich zum Dienst in den russischen Streitkräften zu verpflichten.

Belarussischer Präsident Alexander Lukaschenko als Vermittler

Der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko (68) soll es gewesen sein, der Prigoschin zur Aufgabe seines Putschs bringen konnte.
Der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko (68) soll es gewesen sein, der Prigoschin zur Aufgabe seines Putschs bringen konnte.  © Gavriil Grigorov/Kremlin Pool Sputnik via AP/dpa

Zuvor hatte der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko Prigoschin nach eigenen Angaben dazu gebracht, seinen Aufstand aufzugeben. Lukaschenko habe sich als Vermittler angeboten, weil er Prigoschin seit rund 20 Jahren persönlich kenne, sagte Peskow.

Prigoschin selbst äußerte sich nicht unmittelbar dazu. Ob und wann er sich aus dem Süden Russlands nach Belarus begeben wollte, war nicht klar.

Kurz zuvor hatte der Söldnerchef angekündigt, den Vormarsch seiner Einheiten auf die russische Hauptstadt Moskau zu stoppen. "Unsere Kolonnen drehen um und gehen in die entgegengesetzte Richtung in die Feldlager zurück", sagte er in einer von seinem Pressedienst auf Telegram veröffentlichten Sprachnachricht.

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Bislang sei "nicht ein Tropfen Blut unserer Kämpfer" vergossen worden. "Jetzt ist der Moment gekommen, wo Blut vergossen werden könnte." Deshalb sei es Zeit, die Kolonnen umdrehen zu lassen.

Es war zunächst nicht klar, ob Prigoschin neben Straffreiheit noch weitere Zugeständnisse gemacht oder zumindest in Aussicht gestellt wurden, um den Vormarsch seiner Truppen auf Moskau zu stoppen. Er galt lange als loyaler Weggefährte Putins, als unantastbare Größe im russischen Machtgefüge, bis ihn der Kremlchef am Samstagmorgen als "Verräter" bezeichnete - und damit öffentlich fallen ließ.

Söldner geben ihre Positionen auf und ziehen sich zurück

Söldnerchef (62) Jewgeni Prigoschin gab den Befehl zum Rückzug seiner berüchtigten Privatarmee.
Söldnerchef (62) Jewgeni Prigoschin gab den Befehl zum Rückzug seiner berüchtigten Privatarmee.  © -/AP/dpa

Ihre bis zum frühen Sonntagmorgen (Ortszeit) gehaltenen Positionen in der südrussischen Millionenstadt Rostow am Don gaben die Wagner-Truppen auf.

Unter dem Applaus der Zivilbevölkerung verließen zunächst die ersten Fahrzeuge mit Söldnern das - erst Stunden zuvor von ihnen eingenommene - Hauptquartier des russischen Militärkommandos Süd, ehe später auch Panzer und Gefechtsfahrzeuge die Innenstadt verließen.

An den Zufahrtsstraßen rund um Moskau wurden am frühen Sonntagmorgen nach offiziellen Angaben alle Straßensperren aufgehoben. An dem von Bürgermeister Sergej Sobjanin (65) ursprünglich aus Sicherheitsgründen verfügten arbeitsfreien Montag hielt die Stadtverwaltung aber weiter fest.

Der seit Monaten schwelende Machtkampf zwischen Prigoschin und der russischen Armeeführung war in der Nacht zum Samstag eskaliert.

Der 62-Jährige beschuldigte Verteidigungsminister Sergej Schoigu (68), den Befehl zu einem Angriff auf ein Militärlager der Wagner-Truppe gegeben und damit den Tod einer "großen Anzahl" von Kämpfern in Kauf genommen zu haben. Die berüchtigte Söldner-Einheit hat in Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine an der Seite regulärer russischer Truppen gekämpft und vor allem eine wichtige Rolle bei der Eroberung der Stadt Bachmut im Gebiet Donezk gespielt.

Russland: Streit um Kompetenzen und Munitionsnachschub

Rund 200 Kilometer befanden sich die Einheiten noch von der russischen Hauptstadt Moskau entfernt, als zum Rückzug geblasen wurde.
Rund 200 Kilometer befanden sich die Einheiten noch von der russischen Hauptstadt Moskau entfernt, als zum Rückzug geblasen wurde.  © -/AP/dpa

Allerdings gab es seit Monaten Streit um Kompetenzen und um Munitionsnachschub. Prigoschin brüskierte die Armeeführung immer wieder mit öffentlicher Kritik und Häme - ein unerhörter Vorgang in Putins Russland, wo regierungskritische Stimmen systematisch mundtot gemacht werden. Trotzdem ließ ihn Putin lange gewähren.

Nach dem angeblichen Angriff auf das Wagner-Lager, den das Verteidigungsministerium in Moskau umgehend dementierte, kündigte Prigoschin einen "Marsch der Gerechtigkeit" an, um die Verantwortlichen zu bestrafen.

Am Samstag besetzten seine Truppen zunächst Militäreinrichtungen in Rostow am Don.

Später wurde bekannt, dass sich weitere Einheiten Richtung Moskau in Marsch gesetzt hatten. Prigoschins Angaben nach befanden sich die Spitzen seiner Einheiten zuletzt nur noch rund 200 Kilometer von der russischen Hauptstadt entfernt.

Russlands Führung sieht Fortgang des Krieges durch den Aufstand nicht als gefährdet an

Den Fortgang des Kriegs gegen die Ukraine sieht Russlands Führung durch den Aufstand Prigoschins nach eigenen Angaben nicht beeinflusst. Putins Sprecher Dmitri Peskow sagte, ihm sei auch nicht bekannt, dass sich die Haltung des Präsidenten gegenüber Verteidigungsminister Sergej Schoigu geändert habe.

Prigoschin hatte dem Minister und auch Generalstabschef Waleri Gerassimow Unfähigkeit vorgeworfen und die beiden für die vielen Rückschläge auf dem Schlachtfeld verantwortlich gemacht.

Titelfoto: -/AP/dpa

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