"Auch Adolf Hitler hatte jüdisches Blut": Sergej Lawrow sorgt für Eklat
Tel Aviv/Moskau - Russland begründet den Angriffskrieg in der Ukraine immer wieder mit einer "Entnazifizierung" des Nachbarlands. Außenminister Lawrow (72) vergleicht nun sogar Selenskyj (44) mit Hitler - und löst in Israel zornige Reaktionen aus.
Ein Nazi-Vergleich des russischen Außenministers Sergej Lawrow mit Bezug auf den Ukraine-Krieg hat vor allem in Israel für Empörung gesorgt.
Die Regierung in Jerusalem verlangte eine Entschuldigung, das Außenministerium bestellte den russischen Botschafter Anatoli Wiktorow am Montag zum Gespräch ein. Auch in Kiew und Berlin löste Lawrow Entsetzen aus.
Lawrow hatte am Sonntagabend im italienischen Fernsehsender Rete4 die russische Kriegsbegründung wiederholt, in der Ukraine seien Nazis am Werk. Als Gegenargument werde gesagt: "Wie kann es eine Nazifizierung geben, wenn er (der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj) Jude ist? Ich kann mich irren. Aber Adolf Hitler hatte auch jüdisches Blut. Das heißt überhaupt nichts. Das weise jüdische Volk sagt, dass die eifrigsten Antisemiten in der Regel Juden sind."
Israels politische Spitze zeigte sich entrüstet. Außenminister Jair Lapid sprach von einer "unverzeihlichen, skandalösen Äußerung, einem schrecklichen historischen Fehler". Man erwarte eine Entschuldigung. Der Sohn eines Holocaust-Überlebenden aus Ungarn fügte hinzu: "Meinen Großvater haben nicht Juden umgebracht, sondern Nazis."
Er empfahl Lawrow, in ein Geschichtsbuch zu schauen. "Die Ukrainer sind keine Nazis. Nur die Nazis waren Nazis. Nur sie haben die systematische Vernichtung der Juden vorgenommen." Es sei die schlimmste Form von Rassismus gegen Juden, sie selbst des Antisemitismus zu bezichtigen.
Israel wird nach Lawrows Äußerungen wohl nicht mehr als Vermittler bereitstehen
Auch Ministerpräsident Naftali Bennett (50) verurteilte Lawrows Vergleich. "Es ist das Ziel solcher Lügen, den Juden selbst die Schuld an den schlimmsten Verbrechen der Geschichte zu geben, die gegen sie verübt wurden", sagte er. "Der Missbrauch der Schoah des jüdischen Volkes als Instrument der politischen Auseinandersetzung muss sofort aufhören."
Israel hat traditionell sowohl zu Russland als auch zur Ukraine gute Beziehungen. Bennett hat seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine bereits mehrfach sowohl mit Kremlchef Wladimir Putin als auch mit Selenskyj gesprochen.
Im März hatte er Putin sogar persönlich in Moskau getroffen. An Russlands Vorgehen hatte Bennett bislang nur verhalten Kritik geäußert. Nach dem Affront durch Lawrow ist allerdings nur schwer vorstellbar, dass Israel sich weiter als Vermittler anbieten wird.
Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba schrieb bei Twitter, Lawrows Worte spiegelten den "tief verwurzelten Antisemitismus der russischen Eliten" wider. "Seine abscheulichen Bemerkungen sind beleidigend für Präsident Selenskyj, die Ukraine, Israel und das jüdische Volk."
Auch der Leiter der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem, Dani Dajan, nannte Lawrows Äußerungen "absurd, wahnhaft, gefährlich und verachtenswert". Lawrow propagiere "eine Umkehrung des Holocaust - indem die Opfer in die Verbrecher verwandelt werden, durch die Verbreitung einer vollkommen haltlosen Behauptung, Hitler sei jüdischer Abstammung".
Antisemitismusbeauftragter: "Lawrow verdreht zynisch Opfer und Täter der Geschichte"
Hintergrund der von Lawrow wiederholten Behauptung sei die Tatsache, dass Hitlers Vater Alois ein uneheliches Kind gewesen sei, schrieb der israelische Historiker Ofer Aderet in der Zeitung "Haaretz". "Wir wissen nicht, wer der Großvater väterlicherseits war", schrieb Aderet. Für verschiedene Behauptungen, dieser Großvater sei jüdisch gewesen, gebe es jedoch keine historischen Beweise.
Auch der Sprecher der Bundesregierung, Steffen Hebestreit, nannte die Äußerung Lawrows "absurd". Er sagte in Berlin: "Ich glaube, die russische Propaganda, die in diesem Fall durch den Außenminister Lawrow getätigt wird, die braucht es nicht, weiter kommentiert zu werden."
Felix Klein, Antisemitismusbeauftragter der Bundesregierung, sagte den "Funke"-Zeitungen: "Lawrow verdreht zynisch Opfer und Täter der Geschichte und der Gegenwart."
Dies werde besonders deutlich daran, "dass zu den unzähligen Leidtragenden des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine auch jüdische Familien und Holocaust-Überlebende zählen."
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (51, SPD) sagte den Blättern: "Die unerträgliche Äußerung von Herrn Lawrow zeigt, dass die russische Kriegspropaganda vor nichts Halt macht. Lawrows Worte sind auch ein Schlag ins Gesicht aller Jüdinnen und Juden in Deutschland."
Titelfoto: Maxim Shipenkov/Pool EPA/AP/dpa