Protest gegen die Regierung: In Polen wächst der Widerstand!
Warschau - Seit Beginn des russischen Angriffskriegs hat sich Polen als verlässlicher Partner und standfester Unterstützer der Ukraine erwiesen. Der Dauerkonflikt mit Brüssel über Justizreform und Rechtsstaatlichkeit ist darüber in den Hintergrund gerückt.
Doch im Land sehen viele autoritäre Tendenzen bei der PiS-Regierung - die Sorge um den Fortbestand der Demokratie wächst. Bei einer Demonstration der Opposition an diesem Sonntag im Zentrum von Warschau werden daher viele Menschen erwartet.
Ursprünglich war der Aufruf zum Protest eine Initiative des früheren Regierungschefs und Oppositionsführers Donald Tusk (66) von der liberalkonservativen Bürgerplattform. Doch mittlerweile sind die Unzufriedenheit und die Wut auf die PiS in Teilen der Gesellschaft so groß geworden, dass sich noch weitere Parteien und Bürgerinitiativen angeschlossen haben.
Der 4. Juni ist in Polen ein symbolisches Datum: 1989 fanden an diesem Tag die ersten teilweise freien Wahlen statt. Während 65 Prozent der Mandate für die kommunistische Partei reserviert waren, konnten die Wähler über den Rest der Abgeordneten frei entscheiden - es wurde ein Triumph der Demokratiebewegung und der Gewerkschaft Solidarnosc.
Die Wahlen in Polen leiteten zugleich den Beginn des politischen Wandels in Europa bis zum Fall der Mauer ein. Heute ist das Land Mitglied in EU und Nato.
Präsident Duda unterschreibt umstrittenes Gesetz
Nun, einige Monate vor der Parlamentswahl im Herbst, befürchten viele Polen, dass sich die seit 2015 regierenden Nationalkonservativen an die Macht klammern und die Weichen so stellen könnten, dass sie nach der Wahl nicht von der Opposition abgelöst werden können. Diese Befürchtungen hat die PiS selbst gerade befeuert - und das dürfte dem Protest mehr Teilnehmer bringen als zunächst gedacht.
Am Montag unterzeichnete Präsident Andrzej Duda (51) ein umstrittenes Gesetz, das die Einsetzung einer Untersuchungskommission zur russischen Einflussnahme vorsieht. Das von der PiS eingebrachte Gesetz scheint wie maßgeschneidert, um Oppositionsführer Donald Tusk im Wahlkampf zu diskreditieren oder sogar aus dem politischen Leben zu verbannen. Polnische Medien sprechen von einer "Lex Tusk" - einem auf Tusk zielenden Gesetz.
An dem üblen Beigeschmack ändert auch nicht, dass Duda nach heftiger Kritik aus Brüssel und Washington mittlerweile zurückgerudert ist und Änderungen an dem Gesetz angekündigt hat.
PiS nimmt Grenzüberschreitungen in Kauf
Das Gesetz sieht die Bildung einer Untersuchungskommission vor, die viele Vollmachten hat. Das Gremium soll prüfen, ob Amtsträger in den Jahren 2007 bis 2022 unter dem Einfluss Moskaus Entscheidungen getroffen haben, die die Sicherheit des Landes gefährden.
In der ursprünglichen Version war vorgesehen, dass die Kommission Strafen verhängen und ein Amtsverbot von bis zu zehn Jahren verhängen darf. Laut Dudas Änderungsvorschlag soll das Gremium nun lediglich feststellen, "dass eine Person, die unter russischem Einfluss gehandelt hat, eine ordnungsgemäße Erfüllung des öffentlichen Interesses nicht gewährleisten kann".
Tusk war von 2007 bis 2014 polnischer Regierungschef und gilt als schärfster politischer Gegner des mächtigen PiS-Chefs Jaroslaw Kaczynski (73). Der Danziger pflegte enge Kontakte zur damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel (68) und versuchte auch, Polens Verhältnis zu Russland zu verbessern. Die PiS unterstellt ihm daher abwechselnd, er sei ein Lakai Deutschlands oder des Kremls.
Wenn es um die Diskreditierung der Opposition geht, schreckt die PiS auch vor Grenzüberschreitungen nicht mehr zurück. Dies zeigte ein Anfang der Woche von der Partei per Twitter verbreiteter Video-Clip. Zu Aufnahmen aus dem ehemaligen deutschen Konzentrationslager Auschwitz, wo die Deutschen mehr als eine Million Menschen - zumeist Juden - ermordeten, wurde das Logo der Demonstration am 4. Juni eingeblendet mit der Frage: "Willst du wirklich unter diesem Motto mitgehen?"
Die Teilnehmer des Protestmarsches gegen die PiS sollten so verunglimpft werden. Doch das dürfte die Wut auf die Regierenden bei vielen noch mehr anstacheln.
Zehntausende demonstrieren in Warschau
Unterdessen sind am Sonntag in Polen Zehntausende Menschen gegen die Politik der nationalkonservativen Regierungspartei PiS auf die Straße gegangen.
Dichtgedrängt zogen die Teilnehmer des Protestmarsches durch das Zentrum von Warschau. Die Demonstranten trugen Plakate mit der Aufschrift "Europa, wir entschuldigen uns für die PiS", "Abrakadabra - weg ist das PiS-Makaber" und "PiS ins Pissoir". An der Demonstration nahm auch der Friedensnobelpreisträger und einstige Chef der Gewerkschaft Solidarnosc, Lech Walesa (79), teil.
Veranstalter und Polizei machten zunächst keine Angaben zur genauen Zahl der Demonstranten.
"Wir sind heute hier, damit ganz Polen, ganz Europa, die ganze Welt sehen kann, wie stark wir sind, wie viele von uns bereit sind, für Freiheit und Demokratie zu kämpfen, so wie vor 30 und vor 40 Jahren", sagte Tusk vor den Demonstranten.
Erstmeldung von 14.29 Uhr, aktualisiert um 14.36 Uhr.
Titelfoto: Czarek Sokolowski/AP/dpa