Missbrauch und Kinderhandel: Grauenhafte Umstände in US-amerikanischen Waisenhäusern in Haiti aufgedeckt
Port-au-Prince, Haiti - In den letzten Jahren wurden so viele Waisenhäuser wie noch nie in Haiti errichtet, meist mit Geld aus den USA und Kanada. Viele Einrichtungen erhalten Beträge in Millionenhöhe und erfüllen trotzdem oft nicht die Auflagen vom Staat. Ein Investigativ-Bericht von BuzzFeed News zeigt die furchtbaren Zustände dieser Einrichtungen und das profitable Geldsystem dahinter auf.
Augustin Duverson wurde als Säugling von seiner Mutter an ein Krankenhaus gegeben. Kurz darauf landete er im La Maison l'Arc-en-Ciel, ein Waisenhaus was sich darauf spezialisiert hat, Kinder mit HIV oder Kinder mit Eltern, die an HIV erkrankt sind, zu betreuen.
Seine einprägsamsten Erinnerungen aus seiner Kindheit, waren die harten Strafen, die er dort erleiden musste, sagte er gegenüber BuzzFeed News.
An Tagen wo es ihm schwerfiel um 4.30 Uhr aufzuwachen, prügelte der Leiter ihn mit geballten Fäusten aus dem Bett, meinte Duverson. An manchen Tagen musste er lange in der knallenden Sonne vor einer Mauer stehen.
Oft mussten er und andere wohl im Garten arbeiten. Die Erträge wurden anschließend an örtliche Hotels verkauft.
Das Personal teilte ihm angeblich im Alter von ungefähr zehn oder elf Jahren mit, dass er AIDS hätte. Sogar Tabletten hätte er täglich deswegen bekommen.
"Das Personal sagte mir, ich wurde von der Brust von Hunden und Schweinen gefüttert", sagte er. Nachdem er das Waisenhaus verlassen hatte, machte er insgesamt drei AIDS-Tests - alle negativ.
Die Einrichtung streitet all diese Vorwürfe ab. Danielle Pénette, die Gründerin des Waisenhauses, sagte, Duverson sei bloß "sauer, weil wir seine Familie nicht finden konnten".
Nur ein Bruchteil der Waisenhäuser erfüllen staatliche Auflagen
Duversons Schilderungen sind in den Waisenhäusern Haitis wohl leider kein Einzelfall. Insgesamt gab es in 2017 im ganzen Land 754 Waisenhäuser.
Das Sozialamt, genannt IBESR, veröffentlichte in 2018 eine Evaluation der 576 Waisenhäuser die sie inspizierten.
Nur 35 davon erhielten die Einstufung "Grün" die bedeutet, dass sie staatliche Auflagen erfüllen. Fast 400 Einrichtungen erhielten die Einstufung "Rot", die bedeutete, sie müssten sofort geschlossen werden.
In 307 von den 400 Waisenhäusern konnten Anzeichen von physischer oder sexueller Gewalt festgestellt werden.
Viele Waisenhäuser, unter anderem auch La Maison l'Arc-en-Ciel, nahmen nach dem Bericht Strukturveränderungen vor. 119 Waisenhäuser konnten danach die Einstufung "grün" erlangen.
Oft veränderte sich nach aber festgestelltem Missbrauch nichts. Angestellte der Christian Aid Ministries aus dem US-Bundesstaat Ohio, gaben zu, dass einer ihrer Kollegen mit ihrem Wissen mindestens 30 Kinder sexuell missbrauchte.
Der Angestellte arbeitete bis 2019 weiter für die Organisation, bis er aus Haiti zurück in die USA kehrte und dort festgenommen und zu neun Jahren Haft verurteilt wurde.
Die 17 Missionare die im Oktober 2021 entführt wurden, waren mit der gleichen Organisation assoziiert.
Geld wird undurchsichtig Verteilt
Hinter den vielen Waisenhäusern stehen oft nordamerikanische Gründer und Geldgeber, oft im Verbund mit christlichen Kirchen.
Jährlich fließen mehr als 100 Millionen US-Dollar (87.68 Millionen Euro) aus den USA und Kanada in diese Industrie, durch Spenden und Hilfsorganisationen.
Unter dem Vorwand, sich vor Korruption in der Regierung schützen zu wollen, wird Geld oft nicht durch den Staat, sondern privat umverteilt. Dies macht es in vielen Fällen unmöglich nachzuverfolgen, wer das Geld erhält.
Ein Waisenhaus, was von der Church of Bible Understanding (dt. Kirche des Bibelverstehens) aus dem US-Bundesstaat Pennsylvania betrieben wird, gab 2017 an 4,3 Millionen US-Dollar Nettoeinnahmen gemacht zu haben.
Trotzdem stellte die Kirche keinen Generator für das Waisenhaus zur Verfügung, weshalb die Bewohner nachts Kerzen nutzen mussten.
2020 gab es in den Schlafräumen dort ein furchtbares Feuer, in dem fünfzehn Menschen ums Leben kamen.
Maßnahmen um Missbrauch einzuschränken von Pandemie ausgebremst
Arielle Jeanty Villedrouin, die Leiterin des IBESR, warnte aber auch vor der Generalisierung aller Waisenhäuser. Schließlich gäbe es auch einige, die gute Arbeit leisten.
Rodner Cange, Leiter der polizeilichen Abteilung für den Schutz von Minderjährigen, sieht die Schuld sowohl bei den Geldgebern und Gründern, als auch bei dem ausbleibendem Handeln der Regierung Haitis.
2018 verbot Haiti die Neueröffnung von Waisenhäusern. Stattdessen wurde ein erfolgreiches Pflegefamilien-System eingeführt, woran rund 100 Familien teilnahmen.
Der Coronavirus hat die Anstrengung des Staates stark eingeschränkt. Seit Beginn der Pandemie wurde kein weiteres Waisenhaus geschlossen.
Titelfoto: Dieu Nalio Chery/AP/dpa