Krise in Haiti: Mächtiger Boss erschossen - droht nun ein Blutbad?
Port-au-Prince (Haiti) - Jeden Tag wird es schlimmer auf den Straßen von Port-au-Prince, der Hauptstadt des bitterarmen Karibikstaates Haiti.
Seit Monaten bekriegen sich hochgerüstete Gangs, regierungstreue Sicherheitskräfte und "Bwa-Kale"-Milizen. Inzwischen hat Premierminister Ariel Henry (74) das Land verlassen. Doch die Verhandlungen über eine Übergangsregierung könnten angesichts der jüngsten Gewalt endgültig scheitern.
Denn: Bei einer Schießerei in einem von Banden kontrollierten Viertel der Hauptstadt ist am Donnerstag der einflussreiche Boss Ernst Julme (alias Ti Greg), ums Leben gekommen. Er sei von Sicherheitskräften erschossen wurden, hieß es. Nur einen Tag zuvor starb ein weiterer Bandenchef bei einem grausamen Fall von Selbstjustiz, berichtet die Nachrichtenagentur Reuters.
Ti Greg galt als Anführer der berüchtigten Straßengang "Delmas 95", wurde Anfang März beim Sturm auf das größte Gefängnis des Landes von schwer bewaffneten Angreifern befreit. Der skrupellose Killer galt als Gefolgsmann von Jimmy "Barbeque" Cherizier, dem Boss aller Bosse. Sein Tod: Ein schwerer Schlag für Barbecue, der erst kürzlich eine "Revolution" ausgerufen hat und seitdem die Hauptstadt mit beispielloser Gewalt und gnadenlosem Terror überzieht.
Barbecue will die ganze Macht im elf Millionen Einwohner zählenden Land für sich. Im Namen seiner Gang-Allianz "Viv Ansanm" will der ehemalige Polizist die Regierung im gescheiterten Staat an sich reisen. Mehr als 80 Prozent der Hauptstadt kontrollieren sie bereits.
Bilder: Ganggewalt in Haiti
Haiti: Barbecue will den Übergangsrat dominieren
Doch Boss-Barbecue hat viele Feinde: Anwohner haben sich zu Nachbarschafmilizen zusammengetan, nennen sich "Bwa Kale" und üben mitunter grausame Selbstjustiz an Barbecues Freunden.
Erst am Mittwoch richteten die Milizen ein regelrechtes Blutbad im Stadtteil Petion-Ville an, heißt es bei Reuters. Viele Bandenmitglieder und ihr Anführer Makadal wurden erschlagen, ihre Leichen verbrannt und öffentlich zu Schau gestellt.
Nachdem sich Premierminister Henry in Ausland abgesetzt hat, schien eine Lösung der Krise in Sicht: Unter Vermittlung der Karibischen Gemeinschaft CARICOM hatte man sich auf einen Plan zur Bildung einer neuen Regierung verständigt. Doch der neunköpfige Übergangsrat gilt schon jetzt als zerstritten.
Derweil droht Barbecue unliebsamen Politikern und ihren Familien mit Gewalt, wenn sie sich an der neuen Regierung beteiligen.
Titelfoto: Montage: Clarens SIFFROY / AFP