Abschiebung trotz Suizidversuch: Offener Brief an Innenminister Wöller
Dresden - In Abschiebehaft wollte sich ein Geflüchteter umbringen. Trotzdem wurde er daraufhin abgeschoben. Eine Gruppe übt nun Kritik an dem Vorgehen.
Das Ankommen in einem fremden Land, ohne die Sprache zu kennen, kann gerade für Geflüchtete schwierig sein. Manchmal ist es aber das Bleiben noch mehr, so wie bei Ahmed F*.
Sein Asylantrag wurde abgelehnt, er sollte das Land verlassen. Als er dem nicht nachkam, inhaftierte ihn die Landesregierung und schob ihn ab - trotz starker psychischer Probleme.
Starke Kritik daran üben neben der Linken im Sächsischen Landtag auch diejenigen, die ganz nah dran sind an den Sorgen und Ängsten der Geflüchteten, die nicht mehr in Deutschland bleiben dürfen: Die Dresdener Abschiebehaftkontaktgruppe.
Ihre Enttäuschung haben sie nun in einem offenen Brief an den Innenminister deutlich gemacht. Außer an Sachsens Regierung ging der Brief auch an die Landesdirektion, die die Haftanstalt verwaltet.
Ist diese Reaktion gerechtfertigt, und wer ist Ahmed F. (37) überhaupt? TAG24 hat Einblick in die Unterlagen erhalten und mit seiner Lebensgefährtin gesprochen.
Ahmed F. kam 2016 von Tunesien über Libyen und Frankreich nach Deutschland, geflohen war er aber schon 2008 vor der Angst, vor der Armut und vielleicht auch vor der Ungewissheit, wie sein Leben dort weitergehen sollte. Seine Freundin Jenny K.* (49) erzählt, wie er schnell Anschluss fand, versuchte, Deutsch zu lernen, wie sie sich schließlich kennenlernten und zusammen in einem Dorf im Erzgebirge ein Leben aufbauten.
Während seines Asylverfahrens durfte er nicht arbeiten, half den Nachbarn bei Arbeiten an ihren Häusern, machte den Haushalt. Er griff seiner Freundin, die in einem Pflegebereich arbeitet, unter die Arme. K. erinnert sich stolz zurück, dass er sogar als Muslim in der Kirche aktiv geworden wäre.
Dann kam die Ablehnung des Asylbescheids und damit die Aufforderung, Sachsen und Deutschland zu verlassen. "Ich hab ihm gesagt, er soll gehen", erinnert sich Jenny K. Doch ihr langjähriger Freund wollte nicht ohne sie weg in ein Land, das er kaum mehr kannte.
Das Gefühl, unerwünscht zu sein, soll mit der Zeit immer größer geworden sein. "Mein Ahmed hat sich kaum mehr auf die Straße getraut. Ihm ging es mit der Zeit immer schlechter", klagt Jenny.
Ahmed F.: Traumatisiert durch die Haft?
Also hätten sie versucht zu heiraten, doch so wurden die Behörden darauf aufmerksam, dass sich Ahmed F. immer noch im Land aufhielt. Ihm passierte, was mit zahlreichen Geflüchteten geschieht, die sich weigern, Deutschland zu verlassen: Er kam in Haft, in die Abschiebeeinrichtung in der Hamburger Straße in Dresden, und das gleich zweimal, weil der erste Flug abgesagt wurde.
Als er im Mai erneut hinter Stacheldrahtzaun und Gittern untergebracht wurde, schlug die Verzweiflung vor der drohenden Abschiebung wohl mit voller Kraft zu: Ahmed F. beging einen Selbstmordversuch. Pikant: Es war bereits der vierte innerhalb von zwei Jahren, der in der Dresdener Haftanstalt stattfand.
Hier kamen die Abschiebehaftkontaktgruppe und die Linksfraktion ins Spiel: Beide prangerten an, dass ersichtlich gewesen sei, wie labil der Geflüchtete war. Trotz dieses Wissens hätte die Landesregierung den psychisch Belasteten inhaftiert. Das Innenministerium verwies in einer Antwort auf Medikamente, die eingesetzt werden könnten, um den Betroffenen zu helfen. Es bestehe keine Lebensgefahr, wenn "Mittel zur Abhilfe" da seien.
Ein weiterer Vorwurf thematisiert, wie die Haftangestellten mit Ahmed F. umgegangen sein sollen. Schläge und Tritte sollen die Gefängniswärter angewendet haben, um den Geflüchteten ruhig zu stellen. Die Landesdirektion, die die Anstalt auf der Hamburger Straße koordiniert, bestreitet das und hat ebenfalls eine Anzeige erlassen. Einig ist man sich außerdem nicht dabei, dass Ahmed F. Medikamente zwangsweise verabreicht bekommen haben soll.
Mitglieder der Abschiebehaftkontaktgruppe berichteten zudem: "Während wir andere Geflüchtete berieten, drangen laute Schreie durchs Gebäude. (...) Das war krass bedrückend." Ahmed F. sei in einem gesonderten Raum untergebracht worden, damit man ihn nicht so sehr höre. Ein Psychologe und ein Arzt hätten die Möglichkeit gehabt, nach ihm zu sehen.
Ahmed F.: Ärztin erstellte ein Gutachten für die Ausreise
Die Abschiebung fand wenige Tage darauf dennoch statt. Möglich war das nur durch das Gutachten einer Ärztin, das den Inhaftierten für reisefähig erklärte. Die Kritiker bemängeln jedoch, dass sie keine psychiatrische Ausbildung habe und nur als Notärztin tätig sei.
Trotz all dem kam Ahmed F. in Tunesien an, konnte dort seine Familie wiedersehen. Seine Freundin berichtet von Startschwierigkeiten. Sein Gepäck sei ihm geklaut worden, er finde nach wie vor keinen Job. Zudem gäbe es immer noch viele Aufstände im Land.
Immerhin konnten Ahmed und Jenny endlich heiraten. Auch wenn die Einreisebeschränkungen schwierig waren, flog die Pflegekraft nach Tunesien, um ihre große Liebe wenigstens kurz wiederzusehen und zu ehelichen.
Sie haben den Traum noch nicht aufgegeben, dass sie beide irgendwann wieder zusammen in Deutschland leben können. Leicht wird das nicht: Ahmed F. müsste bei Einreise erstmal seine Kosten aus der Abschiebehaft bezahlen. Der Anwalt der beiden beziffere seine Schulden auf eine fünfstellige Summe, wie Jenny erzählt.
Derweil gibt es bereits neue Fälle in Haft. Wie das Innenministerium und die Landesregierung auf die aktuellen Vorwürfe reagierten, ist dagegen noch nicht bekannt.
Normalerweise berichtet TAG24 nicht über Suizide und versuchte Selbstmorde. Da die Vorfälle aber Teil einer öffentlichen Debatte sind, hat sich die Redaktion entschieden, sie doch zu thematisieren.
Solltet Ihr selbst von Selbsttötungsgedanken betroffen sein, findet Ihr bei der Telefonseelsorge rund um die Uhr Ansprechpartner, natürlich auch anonym. Telefonseelsorge: 08001110111 oder 08001110222 oder 08001110116123.
*Name geändert
Titelfoto: Holm Helis