Wie ein Billig-Radio den Nazis die Macht sicherte: Der Volksempfänger wird 90!
Deutschland - Ein Volk, ein Reich, ein Radio. Nach Hitlers Machtergreifung und der Gleichschaltung des Rundfunks 1933 sah der Reichspropagandaminister Joseph Goebbels ein Problem: Es gab viel zu wenige Radios in der Bevölkerung, um die Ideologie der Nazis zu verbreiten. Er handelte. Vor 90 Jahren, am 18. August 1933, wurde auf der 10. Internationalen Funkausstellung in Berlin der "Volksempfänger" vorgestellt, dem der Volksmund später den Spitznamen "Goebbels Schnauze" gab.
Es war ein einfacher und unscheinbarer Kasten. Jedoch ein äußerst machtvolles Instrument, um in die Hirne der Menschen zu kriechen.
Radiohören war Anfang der 1930er für den Normalverbraucher ein unerreichbares Vergnügen. Der Durchschnittslohn lag bei 160 Reichsmark, ein Radioempfänger kostete aber zwischen 200 und 500 RM. Außerdem war eine monatliche Gebühr von zwei RM für den Empfang zu entrichten.
Zwar hatten die Markenhersteller bereits seit 1928 Konzepte für preiswerte Radios in der Schublade. Aus Furcht, dann auf den teuren Geräten sitzen zu bleiben, wurden sie nicht zur Marktreife geführt. Das aber interessierte Goebbels nicht. Er sah in der Ankurbelung der Radioproduktion zunächst seine wichtigste Mission: Massenbeeinflussung.
Für ihn war klar: "Die Macht haben wir nun in Deutschland gewonnen, nun gilt es, das deutsche Volk zu gewinnen. Der Reichspropagandaleiter der NSDAP gibt für alle Gaue folgende Anordnung bekannt: Der Rundfunk gehört uns! Niemandem sonst."
Goebbels machte die Entwicklung eines massentauglichen Radios zur Chefsache. Er wies die deutsche Industrie an, einen aus einem Ingenieurwettbewerb hervorgegangenen einfachen Apparat zu produzieren.
Varianten des Volksempfängers
Musik und Propaganda für die Massen
Somit fertigten 28 Radiofirmen - darunter Telefunken, Blaupunkt und Loewe - ein baugleiches Produkt. Verdienen konnte man daran so gut wie nichts, denn der Dumping-Verkaufspreis war staatlich vorgegeben.
Auch der Name des Gerätes war ein politischer: VE 301 - dies steht für Volksempfänger und den Tag der Machtergreifung (30. Januar). Bereits während der Funkausstellung vor 90 Jahren wurden 100.000 Geräte für 76 RM verkauft, am Jahresende waren bereits 680.000 Volksempfänger abgesetzt.
Die Produktion steigerte sich in den Folgejahren in die Millionen. Die Hörerzahlen stiegen enorm. Der Volksempfänger waren werkseitig so ausgestattet, dass auf der Mittelwelle der Bezirks- und auf Langwelle der Deutschlandsender zu hören war.
Sicher gab es auch viel Musik zu hören, doch die Sprachbeiträge waren die Propaganda der NSDAP: Verherrlichung des Führers, Hetze gegen Juden, Verächtlichmachung anderer Nationen.
Wenn das Propaganda-Wunder plötzlich andere Ansichten fördert
Im Jahr 1938 kam der "Deutsche Kleinempfänger" DKE 38 für gerade einmal 35 RM auf den Markt. Das Billigprodukt hatte eine derart schlechte Klangqualität und verzerrte jede Pegelspitze, dass man ihm den Namen Goebbels Schnauze gab. Und ein Jahr darauf konnten bereits zwölf Millionen Haushalte Hitlers Lüge hören, dass an der polnischen Grenze zurückgeschossen werde.
Spätestens mit dem Kriegsbeginn sprach sich unter den Radiofreaks herum, mit welchen Tricks man auch andere Sender in sein Kästchen holt.
Besonders das deutschsprachige Programm der BBC legte den Hörern plötzlich andere Sichtweisen auf das Zeitgeschehen nahe. Auch, dass die von den Nazis als glorreiche Siege bejubelten Schlachten eher herbe Niederlagen waren.
Bald schon wurden die Volksempfänger mit einer Drohung am Drehknopf ausgeliefert: "Wer den Feind hört, wird mit Zuchthaus bestraft, und wer abgehörte Nachrichten weiterverbreitet, wird hingerichtet".
Das neu geschaffene Delikt nannte sich "Rundfunkverbrechen" - allein zwischen 1939 und 1942 gab es 2700 Verurteilungen.
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