Keine Hilfen! Kunst-Café steht vor dem finanziellen Aus: Wirtin stemmt sich dagegen
Stuttgart-Bad Cannstatt - 18 Jahre ist es her, dass Aysen Ener das erste Mal das Restaurant und Kultur-Café "Die Palette" aufgeschlossen hat. Nun steht sie kurz davor, es für immer schließen zu müssen. TAG24 hat sie interviewt.
"Ich hoffe, dass ich es noch halten kann", so Wirtin Aysen Ener, mit gesenkter Stimme und es schwingt deutlich hörbar mit, dass sie Angst hat. Angst davor, dass sie die Stühle für immer nach oben stellen muss.
Die Wirtin beschreibt ihre Palette als eine Kneipe um die Ecke, als eine Art "Wohnzimmer".
"Jeder der reinkommt wird gefragt, wie es ihm geht, wie es dem Hund geht und was mit seiner Pfote ist", sagt die Frau, die ein Geheimnis um ihr Alter macht.
In der Kneipe erwartet Gäste eine familiäre Atmosphäre, die Stammgäste zu schätzen wissen und in der sich auch neue Besucher wohlfühlen.
Ener erinnert an ein Heine-Zitat: "Es ist nichts aus mir geworden - nichts als ein Dichter. So ist es mit mir auch: Ich bin nichts geworden - nichts als ein Mensch. Vielleicht ist das auch genug", gibt die Frau zu bedenken, der man gerne zuhört.
An den Wänden der Palette hängen Kunstwerke und venezianische Masken. Denn Ener will ihre Leidenschaften vereinen. Auf der einen Seite die Kneipe, auf der anderen die Kunst. Doch wie lange ihr das noch gelingt, weiß sie nicht, denn sie steht mit dem Rücken zur Wand.
Die Corona-Hilfen für November sowie Dezember blieben ihr verwehrt. Lediglich die Soforthilfe für Selbstständige erhielt sie im März. Zum Überleben reicht dies jedoch lange nicht.
Wird der Traum, eine Kneipe aufzumachen, zum Albtraum?
Die Begründung für die Ablehnung: Sie bekomme Rente und arbeite als freischaffende Lehrerin, wobei sie Deutsch und Türkisch für Bosch-Mitarbeiter, die aus dem Ausland nach Deutschland kommen oder anders herum, unterrichtet.
Dass diese in Pandemie-Zeiten kaum stattfinden, interessiert offenbar nicht. Ihre geringe Rente reicht dagegen gerade mal zum "Brötchen holen", wie Ener sagt.
Für die Corona-Regeln hat die Wirtin Verständnis. "Lockdown muss sein und ist zum Schutz aller. Ich finde es ungerecht, das große Firmen Milliarden bekommen und ich bekomme nichts."
Schon 1500 Euro im Monat würden reichen, um ihre kleine Kneipe zu retten. Aysen Ener hat bereits einen kleinen Kredit aufgenommen, um die laufenden Kosten zu begleichen, doch auch das ist ein Fass ohne Boden.
Sich den Kneipentraum zu verwirklichen, hatte Ener schon in ihrer Heimat, der Türkei. Doch das Leben hatte andere Pläne für sie. "Anstatt einer Kneipe am Bosporos, habe ich nun eine am Neckar", sagt die Wirtin lachend.
Live-Auftritte, Kneipenquiz und Diskussionen
Nach Deutschland kam Ener mit einem Stipendium, studierte Englisch und Deutsch. Sie wurde Grundschullehrerin, später Lehrerin am Gymnasium und auch an Berufsschulen.
Streng sei sie gewesen, aber beliebt und auch sie erinnert sich gerne an ihre Schüler. Die Rente als türkische Staatsbürgerin, die nicht verbeamtet wurde und oft selbstständig gearbeitet hat, ist gering. Um diese aufzubessern, gibt sie noch heute weiter Unterricht.
Zur Kunst kam sie durch ihren Großvater, einem bekannten Maler in der Türkei, dessen Werke sie in Bad Cannstatt ausstellte, später folgte die Kneipe.
In der Palette wird den Gästen neben Essen und Getränken auch Live-Auftritte internationaler Musiker, politische und unpolitische Diskussionen und immer ein offenes Ohr geboten.
Für ihr Kneipenquiz ist sie berüchtigt. "Meine Fragen sind knackig, ich kann sie nur warnen", so Ener, die ihren Humor auch in dieser schwierigen Situation nicht verloren hat.
Gibt es doch noch eine Chance?
Die Cannstatter Wirtin, die in Vaihingen wohnt, gibt nicht kampflos auf. Sie will ihr Lokal retten und auch ihre Gäste setzen sich dafür ein. Sie haben zusammen einen Spendenaufruf gestartet.
"Es tut gut zu wissen, dass so vielen was an der Palette liegt", sagt die optimistische Frau.
Fast jeden Tag ist sie in ihrer geschlossenen Kneipe und versucht, wenigstens ein paar kleinere Essen, wie Salate, Sucuk mit Ei oder Coffee to go über den Mittag zu verkaufen. Viel Umsatz kommt nicht bei rum, denn es kommen nur einige Stammgäste.
Ener ist kreativ und versucht, irgendwie an Geld zu kommen: Vor dem Lokal hat sie einen Tisch aufgebaut und tauscht Bierkrüge gegen eine Spende. "Jedes bisschen hilft", sagt sie kämpferisch.
"Meinen schönsten Krug bin ich für 40 Cent losgeworden", erinnert sich die Wirtin lachend. Einer älteren Dame habe er so gut gefallen und mehr hatte sie nicht dabei.
"Es gibt genug Wenig auf der Welt, da kann man das schon machen", meint die sympathische Frau, mit der man gerne ein Bier trinken würde.
"Ich lebe von Monat zu Monat"
Ab acht Euro Spende gibt es einen Getränke-Gutschein, wenn das Lokal wieder geöffnet hat. Die Wirtin gibt sich zuversichtlich, dabei steht ihr das Wasser bis zum Hals.
Manchmal drücken ihr Stammgäste einen Schein in die Hand. Wenn sie dafür zum Essen einladen will, lehnen sie ab.
Die Pacht für März und die Kosten für Energie hat sie wenigstens drin. "Ich lebe von Monat zu Monat. April schauen wir dann", sagt die Wirtin. Der Spendenaufruf "Rettet Die Palette" hat schon über 2000 Euro eingebracht. Für die Rettung sind insgesamt 9560 Euro notwendig.
Ein Spender kommentierte: "Ich war noch nie in der Palette, aber ich möchte gerne helfen. Wenn sie wieder öffnet, werde ich ein neuer Gast werden. Ich wünsche der Wirtin alles Gute und viel Erfolg!".
Die Hoffnung hat Ener noch nicht ganz aufgegeben. "Ich bin irgendwie zuversichtlich, völlig unrealistisch", sagt die Stuttgarterin und hofft, dass sie die Türen nach dem Lockdown für die Gäste wieder aufschließen kann.
Titelfoto: Aysen Ener (Fotomontage)