Klavierklänge am Charlottenplatz: Das ist der syrische Spieler im U-Bahnhof!
Von Martin Oversohl
Stuttgart - Der U-Bahnhofs Charlottenplatz - Ein trostloser, wirklich nicht besinnlicher Verkehrsknotenpunkt mitten in Stuttgart, an dem man vieles erwartet, sicher aber nicht den heiteren Sound eines Klavierspiels.

Ein Mensch macht dies allerdings möglich. Während Scharen von Menschen von einem Gleis zum anderen hasten, um den Charlottenplatz schnell wieder zu verlassen, sitzt Abdul Rahman Alali (20) gebeugt über der Tastatur und spielt Klavier.
Der U-Bahnhof ist für ihn seit dem vergangenen Sommer zur zweiten Heimat geworden, ein Musikzimmer mitten im Nirwana der Großstadt und fernab der umkämpften syrischen Heimat.
Meist sitzt er morgens dort am öffentlichen Klavier zwischen dem gelben Briefkasten und der Treppe, oft auch an Nachmittagen und sogar nachts. Sein Publikum? Die Pendler, die Kinder und Schüler, die Nachtschwärmer und Reisende. Viele halten inne, horchen auf. Hier verbindet sich Alali mit den Fremden im Alltag - bis der nächste Zug einrollt.
Dabei kann er, der nach eigener Aussage vor acht Jahren mit seiner Familie aus der syrischen Hauptstadt Damaskus nach Deutschland kam, gar keine Noten lesen.
Er habe sich das Klavierspiel über YouTube-Videos beigebracht, nachdem er Menschen gesehen habe, die auf der Straße oder in einem Einkaufszentrum Klavier spielten, erzählt Alali. "Da war ich neidisch und habe gedacht, das kann ich auch."

Verlobte am Klavier kennengelernt
Alali hat seine Verlobte Ana im vergangenen Sommer am Klavier kennengelernt. Mit ihrer Freundin sei sie stehen geblieben. Inzwischen sind die beiden verlobt, wie sie erzählen.
Als sogenannter Familiennachzug kam Alali mit seiner Mutter und zwei Brüdern nach Deutschland - zwei Jahre nach seinem Vater, einem Vermessungsingenieur. Mit dem deutschen Hauptschulabschluss in der Tasche sucht er weiter nach einem Ausbildungsplatz.
Das eine oder andere hat der Syrer ausprobiert. Nun will der 20-Jährige sich als Kfz-Mechatroniker oder Vermessungstechniker versuchen, wenn er eine Lehrstelle findet.
Deutschland, das sei wie eine Heimat für ihn geworden, sagt der junge Syrer in fließendem Deutsch. "Ich möchte hier leben, mich integrieren, eine Zukunft aufbauen."
Titelfoto: Bildmontage: Bernd Weißbrod/dpa