Zeigt dieses Video, dass Hans Niemann cheatet? Beweise klingen vernichtend
Oslo/Los Angeles - Betrügt Hans Niemann (19) beim königlichen Spiel, oder nicht? Die Suche nach der Wahrheit hinter dieser Frage beschäftigt Schachspieler und Außenstehende seit mehreren Tagen. Ein Video von Schachspielerin Yosha Iglesias (35) scheint den US-Amerikaner nun als Betrüger entlarven. Die Schachspielerin zeigt, dass Niemanns Züge eine außerordentlich hohe Übereinstimmung mit Computer-Vorschlägen aufweisen.
Um beim Schach zu schummeln, muss ein Sportler auf die Vorschläge einer Engine zurückgreifen.
Diese Maschinen sind mittlerweile leistungsfähiger als die besten Schachspieler der Welt und finden die stärksten Züge allein dank enormer Rechenkraft.
Schachpartien werden in Datenbanken gesammelt. Im Nachhinein lässt sich also leicht nachvollziehen, wie hoch die Übereinstimmung der Partiezüge mit den Vorschlägen der Engine ist. Iglesias hat das für ihr Video mit Let's Check, einem Analyse-Tool, herausgearbeitet.
So kommen Magnus Carlsen (31) und Garry Kasparow (59), beide mehrfache Schachweltmeister und in ihrer aktiven Laufbahn die prägenden Figuren der Szene, auf eine Übereinstimmung von rund 70 Prozent. Super-Großmeister, zu denen sich mittlerweile auch Hans Niemann zählen darf, kommen im Idealfall auf eine Übereinstimmung von 62 bis 67 Prozent.
Yosha Iglesias untersucht Partien von Hans Niemann auf Übereinstimmungen mit Schach-Engines
Niemanns kurioses Springermanöver nach H2: Nutzte er eine Engine, um zu gewinnen?
Im Laufe des Clips mit dem Titel: "The most incriminating evidence against Hans Niemann" geht die 35-Jährige auf konkrete Partien ein, zeigt einen Sieg von Hans Moke Niemann gegen Abhimanyu Mishra, in dem Erstgenannter seinen eigenen Springer auf h2 einsperren lässt und trotzdem die Partie souverän gewinnt.
Das aus menschlicher Sicht unnatürliche Manöver funktioniert, da es auf konkreten Berechnungen beruht.
Wurde für den Springerzug nach h2 und die folgenden Züge der Computer zu Hilfe genommen? Durchaus möglich, die Übereinstimmung mit der Maschine liegt bei 72 Prozent.
Sehr überraschend, wenn man bedenkt, dass Niemann damals noch weniger als 2500 ELO (Wertungszahl beim Schach) auf dem Konto hatte.
Generell macht viele Betrachter des Schachsports skeptisch, dass der 19-Jährige in den letzten zwei Jahren mehr als 200 ELO-Punkte zulegen konnte.
Niemann erklärte seinen Leistungssprung in einem Interview während des Sinquefield Cups damit, dass er seine sozialen Kontakte in den Pandemie-Jahren zurückgeschraubt und sich voll und ganz mehrere Stunden am Tag Schach gewidmet hätte.
100 Prozent Computer-Übereinstimmung: Merkwürdige Auffälligkeiten bei Partien von Hans Niemann
Und genau aus dieser Zeit zwischen 2020 und 2022 nimmt Iglesias mehrere Partien Niemanns unter die Lupe.
Dabei weisen einige seiner Kämpfe, manche davon gegen Großmeister-Kollegen, eine erstaunliche Übereinstimmung von 100 Prozent mit den Vorschlägen der Engine(s) auf.
Ein Wert, der in dieser Form erst einmal annähernd erreicht wurde, nämlich vom französischen Großmeister Sébastien Feller (31) im Jahr 2010. Feller wurde damals des Computer-Betrugs überführt. Und Hans Niemann?
"Offensichtlich kann ich nicht versprechen, mathematische Beweise anzuführen, dass Hans Niemann cheatet, weil das unmöglich ist", stellt Iglesias gleich zu Beginn ihres Videos dar.
Stattdessen lässt die Transgender-Sportlerin Zahlen sprechen.
Falls die Beobachtungen zutreffen, dass eine solche mathematische Genauigkeit nur durch Cheating erbracht werden konnte, stellt sich immer noch die Frage, wie es dem 19-Jährigen gelingen konnte, während der Partie Zugriff auf Computer-Varianten zu bekommen?
Schach-Drama zwischen Magnus Carlsen und Hans Niemann: Was bisher geschah
Am 4. September trafen Magnus Carlsen und Hans Niemann beim Sinquefield Cup in St. Louis aufeinander. Die Begegnung endete mit einem souveränen Schwarz-Sieg des US-Amerikaners. Danach brach Magnus Carlsen das Turnier ab und twitterte ein mysteriöses Video, dass er nichts sagen dürfe. Als sich beide rund zwei Wochen später beim Julius Baer Generations Cup, einem Online-Turnier, erneut schachlich duellierten, gab Carlsen nach dem ersten Zug die Partie auf.
Nach dem Turnier veröffentlichte der Schach-Champion ein Twitter-Statement, in dem er Niemann des Betrugs beschuldigte.
Titelfoto: Crystal Fuller/Saint Louis Chess Club/dpa