Wie DDR-Skisprung-Idol Recknagel mitten in der Weltpolitik landete

Steinbach-Hallenberg - Ein junger Mann aus Thüringen brach die jahrelange Dominanz der skandinavischen Skispringer. Vor gut 65 Jahren - am 6. Januar 1958 - gewann Helmut Recknagel als erster Deutscher die Vierschanzentournee. Doch seine heißen Sprünge mitten im Kalten Krieg wurden schon bald zum Politikum.

Skispringer Helmut Recknagel aus Thüringen schockierte zunächst die Skandinavier. Dann wurde er zur Waffe für den Flaggenkampf zwischen DDR und BRD. Dadurch konnte er an einigen Wettbewerben nicht teilnehmen, die der "Schanzen-Sputnik" wahrscheinlich gewonnen hätte.
Skispringer Helmut Recknagel aus Thüringen schockierte zunächst die Skandinavier. Dann wurde er zur Waffe für den Flaggenkampf zwischen DDR und BRD. Dadurch konnte er an einigen Wettbewerben nicht teilnehmen, die der "Schanzen-Sputnik" wahrscheinlich gewonnen hätte.  © Fotomontage: Imago/Zuma/Keystone, dpa/ZB

Sportfunktionäre benutzten Recknagel als Marionette im sogenannten "Flaggenstreit" zwischen der DDR und der BRD. Er wurde damit wider Willen zu einer der Hauptfiguren in einem kuriosen und dunklen Kapitel der deutsch-deutschen Sportgeschichte.

Der Stern des neuen Überfliegers aus Zella-Mehlis war bereits im März 1957 aufgegangen. Als 19-Jähriger siegte er als erster Nichtskandinavier im Mekka der Skispringer, am Holmenkollbakken in Oslo. Seinen Gesamtsieg bei der Vierschanzentournee 1957/58 ordnete man zunächst nicht so hoch ein, weil die favorisierten Norweger und Finnen gar nicht teilnahmen.

Doch kurz darauf kam es erstmals zum Eklat. Am 24. März 1958 endeten die Internationalen Skiflugwochen in Obersdorf, bei der Recknagel die Weltelite hinter sich ließ. Als er das Treppchen bestieg, sagte der Moderator: "Sieger ist Helmut Recknagel aus der - äh - aus Thüringen."

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Und weil die Kapelle keine Noten für die DDR-Hymne "Auferstanden aus Ruinen" hatte, wurde das Deutschlandlied intoniert.

"Eine Beleidigung, eine Provokation!"

Bei der Eröffnungszeremonie zu den Olympischen Winterspielen 1960 lief ein gesamtdeutsches Team hinter Recknagel ein.
Bei der Eröffnungszeremonie zu den Olympischen Winterspielen 1960 lief ein gesamtdeutsches Team hinter Recknagel ein.  © Imago/TopFoto

Fuchsteufelswild schossen nun verschiedene Funktionäre auf das Podium zu und schrien: "Wir sind DDR, Deutsche Demokratische Republik! Das ist eine Beleidigung, eine Provokation!" Sie wiesen den jungen Sportler an, sofort das Podium zu verlassen und auch den vom bayrischen Ministerpräsidenten gestifteten Pokal abzulehnen. Dies war aber nur der Auftakt zur Polit-Posse.

Von dieser blieb die Vierschanzentournee 1958/59 noch verschont.

Als erster Springer überhaupt gewann Recknagel zum zweiten Mal - auch die Skandinavier waren dabei. Im Oktober aber machte die DDR Nägel mit Köpfen: Die Volkskammer beschloss, dass die Nationalflagge mit dem Emblem aus Hammer, Zirkel und Ährenkranz bestückt wird.

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In der Bundesrepublik wurde das "Sowjetzonen-Banner" als Spalterflagge abgelehnt. Das erschwerte auch die ohnehin schon komplizierten innerdeutschen Qualifikations-Wettbewerbe für die Olympischen Winterspiele, die im März 1960 in der Sierra Nevada (USA) beginnen sollten.

Das Internationale Olympische Komitee (IOK) hatte festgelegt, dass Deutschland nur mit einem Team, einer Flagge und einer Hymne antreten darf.

Bundeskanzler Konrad Adenauer erwog, Olympia zu boykottieren

Ex-Bundeskanzler Konrad Adenauer (†91).
Ex-Bundeskanzler Konrad Adenauer (†91).  © imago/Sven Simon

Mit "Freude schöner Götterfunken" aus Beethovens Neunter Symphonie konnte man sich auf eine Hymne einigen. Im Flaggenstreit hingegen verhärteten sich die Fronten. Den Vorschlag, auf das schwarz-rot-goldene Banner die olympischen Ringe zu pflocken, lehnte Bundeskanzler Konrad Adenauer brüsk ab.

Sein Argument: "Als Nächstes kommt die Fleischerinnung und will den Schweinekopf auf der Fahne haben." Sein erwogener Boykott konnte ihm ausgeredet werden - schließlich hätten dann die "Zonensportler" Deutschland allein vertreten.

Auf dem Boden der Bundesrepublik blieb die DDR-Flagge aber verboten. Also boykottierte die DDR die Vierschanzentournee 1959/60, die Sowjets, Polen und Tschechen schlossen sich an. Und weil Finnen und Norweger wegen der Olympiavorbereitung verzichteten, gewann mit Max Bolkart ein Westdeutscher.

Müßig zu spekulieren, ob Recknagel hier das Triple geholt hätte.

Helmut Recknagel: Flaggenträger für Ost und West

Später - wie hier 1972 in München - war ein eigenes DDR-Team für die Welt schon Normalität.
Später - wie hier 1972 in München - war ein eigenes DDR-Team für die Welt schon Normalität.  © imago/Werner Schulze

Der bei ost- und westdeutschen Athleten gleichermaßen beliebte Skispringer wurde aber ausgewählt, die gesamtdeutsche Mannschaft als Flaggenträger ins Olympiastadion zu führen - mit der Flagge mit den olympischen Ringen. Eingekleidet wurden die Frauen von der Bundesrepublik, die Herren von der DDR. Recknagel holte eine der vier Goldmedaillen für das deutsche Team.

Bei der Vierschanzentournee 1960/61 hatte man aus den Fehlern gelernt. Der Veranstalter verzichtete komplett auf das Aufziehen von Nationalflaggen. Bei der Siegerehrung wurden nun die Vereinsflaggen der Athleten gehisst, damit gab sich auch die DDR zufrieden. Wieder siegte Recknagel mit Bommelmütze, Keilhose und Pullover. Im Folgejahr wurden die Ostsportler wegen des erfolgten Mauerbaus nun vonseiten der BRD ausgesperrt, sie starteten lediglich auf den österreichischen Schanzen. Erst 1965/66 nahm die DDR wieder teil.

Denn dem IOK wurde der Firlefanz mit den zerstrittenen deutschen Sportverbänden zu viel. Man erkannte 1965 die DDR als eigenständiges Mitglied an. So musste auch die Bundesregierung einlenken und das Emblem der Zonensportler auf ihrem Staatsgebiet zähneknirschend akzeptieren. Bei den Winterspielen 1968 in Grenoble (Frankreich) traten erstmals zwei deutsche Staaten an.

Und im Medaillenspiegel der Sommerspiele in Mexiko lag die DDR erstmals vor der Bundesrepublik.

Titelfoto: Fotomontage: Imago/Zuma/Keystone, dpa/ZB

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