"Teil der männlichen europäischen Kultur": US-Biathlon-Star über Jahre sexuell belästigt
USA - Es ist schockierend, was sich über Jahre hinweg im US-amerikanischen Biathlon-Team abgespielt haben soll! Joanne Reid (31), eine der Top-Biathletinnen des Landes, wurde über lange Zeit von einem Skitechniker belästigt - und bekam bei einer Beschwerde mitgeteilt, dass das "Teil der männlichen europäischen Kultur" sei!
Im Sommer 2023 beendete Joanne Reid, dreimalige US-Meisterin im Biathlon und zweimalige Olympia-Teilnehmerin, überraschend ihre Karriere, nachdem im US-Team zwar sieben Männer, aber nur drei Frauen für den Nationalkader nominiert worden waren.
Doch hinter ihrem Rücktritt verbirgt sich viel mehr - eine Geschichte jahrelanger Belästigung durch einen Wachstechniker, die von den Verantwortlichen heruntergespielt und ignoriert wurde!
Schon im November deutete die 31-Jährige auf Instagram an, was hinter den Kulissen vor sich gegangen war.
Sie enthüllte, dass die Regeln für die Weltcup-Qualifikation so geändert wurden, dass nur sie nachträglich ihren sicheren Platz verlor, und dass sie mehr als 18 Monate zuvor eine Beschwerde bei SafeSport eingereicht hatte, einer US-Behörde gegen sexuellen Missbrauch im Sport.
Jetzt legte die Nachrichtenagentur AP offen, was konkret vorgefallen war: Schon seit ihrem Weltcup-Debüt 2016 war Reid, damals Anfang 20, immer wieder von Skitechniker Petr "Gara" Garabik sexuell belästigt worden.
Vom US-amerikanischen Biathlon-Verband wurde Joanne Reid nicht ernst genommen
Er habe sie immer wieder betatscht, gegen ihren Willen umarmt und dabei an den Hintern gepackt, unangemessene Kommentare von sich gegeben und Nachrichten geschrieben, erzählte Reid der Agentur.
2017 erschien er betrunken vor ihrer Zimmertür, versuchte gewaltsam, sie zu küssen, und ließ erst von ihr ab, als ihre Zimmerkollegin erschien.
SafeSport suspendierte den Tschechen nach einer 18-monatigen Untersuchung für ein halbes Jahr und setzte ihn bis Ende 2024 auf Bewährung.
Sie habe sich in den ersten Jahren nicht getraut, etwas gegen die Belästigung zu sagen, schilderte Reid ihre Lage. Zu groß war die Angst, der Wachstechniker könne ihre Ski verpfuschen oder sie ihren Platz im Weltcup-Team verlieren.
Erst 2019 schaffte sie es mit der Unterstützung ihrer Teamkollegin Deedra Irwin (31), die Vorfälle bei den Verantwortlichen zu melden - und erhielt daraufhin von Biathlon-Direktor Lowell Bailey (42) die Antwort, dass man einem Europäer keine Regeln für sexuelle Belästigung beibringen könne und dass das "Teil der männlichen europäischen Kultur" sei.
Zwar wies ihr damaliger Trainer Bernd Eisenbichler Garabik zurecht und zog ihn von Reids Skipräparation ab, doch sein Verhalten ging bereits zwei Tage später weiter.
Immer wieder versuchte Reid, sich Gehör zu verschaffen, warnte auch neue Teammitglieder vor dem Tschechen - doch erst, als die Militärangehörige Irwin 2021 ihre Vorgesetzten informierte, kam Bewegung in den Fall.
Joanne Reid ist "überwältigt" von den Reaktionen auf ihre Geschichte
Die SafeSport-Untersuchung wurde Ende 2022 abgeschlossen, doch es ergaben sich nicht nur Konsequenzen für Garabik, sondern auch für Reid, als ein halbes Jahr später rückwirkend die Kriterien für die Weltcup-Qualifikation des US-Biathlon-Teams geändert wurden und die 31-Jährige plötzlich durchs Raster fiel.
"Sie behandeln mich wie eine ungezogene Neunjährige, und es war sehr schwierig für mich, in dieser Umgebung zu sein", erklärte Reid. So habe sie das Team nicht auf der Weltbühne vertreten wollen.
Also reichte sie ihren Rücktritt aus dem Profi-Biathlon ein, machte wenige Monate später ihre Geschichte öffentlich - und fühlt sich seither befreit und ermutigt.
"Ich bin wirklich überwältigt von der Menge an Menschen, die sich für mich und die Sicherheit unseres Frauenteams und der Biathleten im Allgemeinen einsetzen", sagte die US-Amerikanerin der AP.
"Auch wenn es im Moment beschissen ist, ist es eine erstaunliche, inspirierende Sache."
Titelfoto: Tobias SCHWARZ / AFP