Turn-Skandal in Deutschland immer größer: Jetzt packt die nächste Athletin über Missbrauch aus
Stuttgart - Der Skandal im deutschen Turnsport ist offenbar noch viel größer als vermutet: Nach Tabea Alt (24) hat nun am Sonntag auch Michelle Tim (27) über die Zustände am Standort Stuttgart und im Deutschen Turner-Bund (DTB) allgemein ausgepackt.
Es scheint, als habe Alt am Samstag eine wahre Lawine losgetreten. Die Teilnehmerin der Olympischen Sommerspiele 2016 von Rio de Janeiro, die im April 2021 aufgrund zahlreicher langwierigen Verletzungen beendet hatte, enthüllte auf Instagram erschreckende Zustände in Training und Wettkampf.
Sie warf dem DTB und dem Schwäbischen Turnerbund (STB) systematischen körperlichen und mentalen Missbrauch vor.
Nun schlägt Timm in dieselbe Kerbe. Sie veröffentlichte im Internet nicht nur ein Statement, sondern auch den Inhalt eines offenen Briefes an den Verband, der laut ihrer Aussage seit zwei Monaten ignoriert wird.
"Man mag darüber streiten können, was im Leistungssport nötig ist, um erfolgreich zu sein, aber bei [...] Drohungen in jeglichen Kontexten, Verweisungen der Halle aus sinnlosesten Gründen, psychischem Unterdrucksetzen und dem Drohen damit, dass man nie wieder gut schlafen könne, ohne schlecht zu träumen, überschreitet für mich jegliche Grenze", heißt es unter anderem in dem Schreiben.
Einige Elternteile haben eingegriffen, hätten sich an den Olympiastützpunkt gewandt, doch passiert sei nichts.
Turnen: Michelle Timm erhebt schwere Vorwürfe
"Wir haben unfassbar viele Talente dieser Sportart bereits verloren. Mal ganz davon abgesehen, hinterlassen diese Umstände zutiefst geschädigte Kinder und Jugendliche", klagt Michelle Timm weiter an.
Vor allem dreht es sich um eine weibliche und einen männlichen Trainer am Kunst-Turn-Forum Stuttgart, Namen nannte sie keine.
Timm berichtet auch davon, wie ihr Karriereende keine eigene, sondern vielmehr eine Entscheidung des Verbandes gewesen sei.
Nach einem Schien- und Wadenbeinbruch sei klar gewesen, dass mehrere Operationen nötig seien. "Der eigentliche Wendepunkt kam jedoch, als ich erfuhr, dass ich monatelang aufgrund von ärztlichen Fehlentscheidungen mit sichtbaren körperlichen Schäden trainiert hatte", berichtet sie.
Ähnliches hatte auch Tabea Alt berichtet. Timm fuhr fort, dass sie nur wenig später aus dem geförderten Kader flog, anschließend ohne jegliche Unterstützung mit Reha, Studium, Job und Sport auf sich allein gestellt gewesen sei.
"Nach vier Operationen wurde ich schließlich vom Verband verabschiedet, ohne jemals selbst entschieden zu haben, dass es das wirklich gewesen sein soll", so Timm.
Der Verband kündigte bereits nach dem Statement von Alt eine lückenlose Aufklärung an, allerdings scheint das Fass einen noch viel tieferen Boden als angenommen zu haben.
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