Wissenschaftlich bestätigt: Radprofis betreiben Motor-Doping
Passy (Frankreich) - Beim Einzelzeitfahren der Tour de France am Dienstag geht es um Sekunden! Die Teams kämpfen mit allen Mitteln.
Das Gewicht der Räder wird bis auf das Erlaubte ausgereizt und die Aerodynamik der Sitzposition im Windkanal getestet.
Aber auch abseits des Fahrrads haben die Teams Möglichkeiten, die Fahrer schneller zu machen. Aber nicht, was Ihr jetzt denkt!
Vielleicht ist Euch mal aufgefallen, dass bei einem Einzelzeitfahren, also wenn die Profis ganz flach auf einem Rad liegen und das Hinterrad eine Scheibe ist, sehr dicht hinter den Fahrern das Teamauto hinterherfährt.
So wie hinter Lennard Kämna (26, BORA-hansgrohe, siehe unten) bei der deutschen Meisterschaft im Einzelzeitfahren 2022, die der Bremer übrigens gewann.
In erster Linie fährt es natürlich dort, um bei einem möglichen Defekt schnell das Rad tauschen zu können, was unfassbar schnell gehen muss.
Besonders eindrucksvoll sah man das beim italienischen Meister Filippo Ganna (26, INEOS Grenadiers/Italien) während des Giro d'Italia 2021, was auf TikTok geteilt wurde.
Boxenstopp im Radsport: es geht um Sekunden
Außerdem sitzen die sportlichen Leiter im Auto, die den Streckenverlauf auf ihren iPads sehen und den Fahrer per Funk vor Gefahren warnen können, wie etwa sehr enge Kurven.
Aber es gibt noch einen Vorteil, wenn die Autos dahinter fahren: Die Radprofis fahren schneller.
Wie ein Delphin, der auf der Bugwelle eines Schiffes surft
Ähnlich wie ein im Meer fahrendes Schiff eine Bugwelle vor sich her treibt, in der Delphine durch das Wasser gleiten, treiben auch Autos eine Art "Luftwelle" vor sich her. Diese "Luftwelle" soll den Fahrer etwas anschieben.
Das ist nicht nur Theorie, sondern wissenschaftlich bestätigt.
2015 hat der niederländischen Forscher Bert Blocken (49) in einer Studie nachweisen können, dass die Radprofis auf einem 50 Kilometer Einzelzeitfahren bis zu einer Minute schneller sind, wenn ein Auto hinter ganz dich ihnen herfährt.
Laut der UCI (Weltradsportverband) müssen die Teamfahrzeuge mindestens zehn Meter Abstand einhalten. Tun sie das, beträgt der Vorteil nur 3,9 Sekunden auf 50 Kilometer. Aber sie tun es eben nicht immer. Halbieren sie den Abstand auf fünf Meter, ist der Zeitvorteil schlagartig sechsmal so hoch: 24,1 Sekunden.
Zur Einordnung: Der Vorsprung des aktuell Führenden der Tour de France, Jonas Vingegaard (26, Jumbo-Visma/Dänemark), auf den Zweiten, Tadej Pogačar (24, UAE Team Emirates/Slowenien), beträgt gerade mal zehn Sekunden.
Die Forscher haben leider etwas vergessen
Die Forscher machten da aber nicht Halt. Denn euch ist sicher aufgefallen, dass die Teamautos häufig mehr als ein Ersatzrad auf dem Dach transportieren. Wozu braucht ein Radprofi mehr als ein Ersatzrad?
Es gibt Fälle, da wurden zehn Fahrräder auf dem Dach gezählt.
Die Annahme der Teams: Je größer wir unser Auto machen, indem wir es mit Rädern vergrößern, desto größer ist die "Luftwelle". Bei einem größeren Schiff ist die Bugwelle schließlich auch größer und die Delphine haben mehr Spaß.
Aber ist das so? Denn die Forscher haben in ihrer Studie von 2015 die Räder auf dem Dach gar nicht berücksichtigt und haben die Studie deshalb wiederholt.
Mit zehn Rädern auf dem Dach sind die Radprofis am schnellsten
Und tatsächlich: Je mehr Räder auf dem Dach, desto mehr Vorteile für den vorausfahrenden Radprofi.
Speziell für das 22,4 Kilometer Einzelzeitfahren der Tour de France am Dienstag haben die Forscher die jeweiligen Zeitvorteile berechnet.
Wenn sich das Auto an die zehn Meter Abstandsregel hält, wird der Fahrer eine Sekunde schneller, wenn auf dem Dach zehn Fahrräder montiert sind.
Bei nur fünf Metern Abstand sind es sogar 2,3 Sekunden. Bei nur einem Meter Abstand, was extrem gefährlich ist, aber tatsächlich manchmal zu sehen ist, werden die Fahrer 18 bis 23 Sekunden schneller auf 22,4 Kilometer!
Die UCI hat auf die Studie reagiert
Doch die Tour wird das nicht entscheiden. Die Top-Favoriten für den Tour-Sieg bekommen meist ein eigenes Kamera-Motorrad gestellt, das hinter den Profis fährt.
Der Fahrer des Motorrads bekommt natürlich klare Anweisungen, genügend Abstand zu wahren und das Team-Fahrzeug von Pogacar und Co. folgt erst dahinter.
Außerdem hat die UCI Anfang dieses Jahres auf die Studie reagiert und den Mindestabstand auf 25 Meter erhöht. Ob dieser eingehalten wird, steht aber wieder auf einem anderen Blatt.
Wir werden auf alle Fälle am Dienstag sehen, dass die Autos mit Rädern gepackt ganz nah hinter dem Kameramotorrad fahren werden. Es wird alles ausgereizt!
Titelfoto: David Inderlied/dpa