Von wegen immer nur Krawalle: Fanprojekt macht im Dynamo-Stadion Schule
Dresden - Und täglich grüßt das Murmeltier: Als Dynamo-Fans am Wochenende im Sachsenderby gegen Aue ein homophobes Plakat in die Höhe reckten, sah Fußball-Deutschland seine Klischees gegenüber der SGD und seinen Anhängern wieder einmal bestätigt. "Da wird sich nie etwas ändern", war der Tenor vieler, die nur allzu gern ihre Vorurteile bestätigt sehen.
Dass es nicht so einfach ist, beweist nicht zuletzt das Fanprojekt Dresden. Das betreibt schon seit vielen Jahren politische und gesellschaftliche Bildung direkt im Stadion.
Stellt Euch vor, Ihr habt zwei Äpfel. Einen Apfel lasst Ihr unberührt auf dem Tisch liegen, den anderen könnt Ihr beschimpfen und auch einmal fallen lassen. Passiert doch nichts, äußerlich bleiben beide (annähernd) gleich.
Mit diesem lebensnahen Beispiel versucht Erik Guth (37), Projektkoordinator am Lernzentrum des Fanprojektes, Kindern zu veranschaulichen, was Mobbing in anderen Menschen anstellen kann. Denn: Schneidet man beide Äpfel auf, ist der eine unter seiner unbeschadeten Hülle frisch und saftig, der andere ist im Inneren verletzt.
"Häufig macht es bei den Kindern an dieser Stelle Klick", sagt Guth. Er ist seit Oktober 2021 beim Fanprojekt, ist in diesem sozialen Beruf auf zweitem Bildungsweg glücklich geworden.
Heute leitet er verschiedenste Projekte für Schulkassen, außerschulische Gruppen und Jugendmannschaften, thematisiert Fair Play als zentralen Wert, die verschiedenen Arten von Gewalt und was es ausmacht, in einer Mannschaft zu agieren, die aus den verschiedensten Kulturen besteht. Alles im Kontext des Dynamo-Stadions, sogar in der Mannschaftskabine.
Das Fanprojekt Dresden lässt die Kinder im RHS ihre eigenen Spielregeln definieren
"Wir sind für das gesamte Jahr ausgebucht, könnten Termine weit darüber hinaus vergeben", so Fanprojekt-Leiter Ronald Beć. Auch er ist 37, ein Einstellungskriterium sei das aber nicht, schmunzelt er. Aber zurück zum Lernen im Stadion. Wir haben da wirklich ganz verschiedene Angebote, betonen Beć und Guth.
Im Zusammenarbeit mit dem Lernort Stadion e. V. findet beispielsweise gezielte Demokratiebildung im Stadion statt. Dresden ist eines von 26 Zentren in ganz Deutschland. Beim Fanprojekt ist man dankbar über diesen Austausch. Dankbar sind auch Schüler und Lehrer, so Guth.
Manch Kind könne es sich gar nicht leisten, ins Stadion zu kommen, das dürfe nicht vergessen werden. Zudem motiviere der Fußball-Bezug oder die vom 37-Jährigen gern eingesetzte Methode, dass sich die Kinder zu Beginn eines Workshops erst einmal selber Spielregeln aufstellen dürfen.
Im Dynamo-Stadion finden Grundschüler auch eine pickepackevolle Bibliothek
Neben den Workshops gibt es im Stadion auch ein anderes nennenswertes Projekt, das aktuell von FSJler Erik Scheerer (17) betreut wird. Der kam schon vor Jahren zum Fanprojekt. Erst sporadisch, dann immer regelmäßiger.
Heute ist er für einen Leseklub verantwortlich, der regelmäßig mit Grundschülern stattfindet. Die vollgepackte Bibliothek wird mehrmals im Jahr von der Stiftung Lesen mit Büchern aufgefüllt. Die Kinder können die Bücher im Stadion lesen oder sich für zu Hause ausleihen.
Dass all das im engen finanziellen Rahmen und mit knappen personellen Ressourcen geschieht, begeistert auch Bundestagsabgeordneten Kassem Taher Saleh (29). Der gebürtige Iraker mit grünem Parteibuch ist glühender Dynamo-Fan und genervt davon, sich immer wieder für seinen Herzensverein rechtfertigen zu müssen.
"Das Rudolf-Harbig Stadion ist auf jeden Fall das schönste Klassenzimmer der Welt. Die Dresdner Kids sehen hier, dass ihre Meinung gefragt ist, dass ihre Stimme zählt und dass es wichtig ist, sich für eine offene und vielfältige Gesellschaft einzubringen."
Und weiter: "Sportliche Erfolge werden zu oft, wie beispielsweise letztes Wochenende durch einen LGBTIQ-feindlichen Bannerdrop beim Spiel gegen den FC Erzgebirge, von antidemokratischen Aktionen überschattet, die ganz klar den Grundsätzen des Vereins widersprechen. Dynamo steht gegen Diskriminierung jeder Art und es ist wichtig, dass genau solche Projekte wie Lernort Stadion e. V. sichtbarer werden."
Bleibt bloß zu hoffen, dass die Arbeit von Beć, Guth, Scheerer und Co. künftig nicht wieder mit Krawallnachrichten und hässlichen Spruchbändern über einen Kamm geschoren wird. In Dresden passiert was, es muss nur Beachtung finden.
Titelfoto: Eric Münch