Kommentar: Warum die Bundesliga Hertha noch hinterhertrauern wird
Berlin - 374 Millionen Euro verpulvert, vier Jahre Abstiegskampf, ein windiger (Ex-)Investor, Alexander Nouri, Platz 18 - Hertha BSC hat sich den Abstieg redlich verdient. Von den einstigen Windhorst-Millionen ist nichts mehr übrig, die einstigen Star-Einkäufe längst wieder weg oder verliehen. Stattdessen kämpft die Alte Dame wieder einmal ums Überleben.
Der "Sport Bild" zufolge ist bei einem Abstieg die Lizenz offenbar alles andere als gesichert. Die klammen Berliner müssen demnach einen Transferüberschuss von über 20 Millionen Euro erzielen und immer wieder nachweisen, wie man zahlungsfähig bleiben will.
Nicht wenige gönnen gerade dem Chaos-Klub der letzten Jahre den Abstieg. Selbst langjähriger Herthaner haben sich mit dem Gang in Liga zwei abgefunden. Dabei sollte eigentlich die komplette Liga den Blau-Weißen die Daumen drücken - und Schalke.
Steigen beide Traditionsklubs ab, geht die Verzwergung der Bundesliga weiter. Zumal auch der HSV alles daran setzt, auch im sechsten Jahr in Folge im Unterhaus zu bleiben.
Darmstadt und Heidenheim hingegen haben den Aufstieg vor Augen. Ein Klub mit einer der besten Stadionwürste Deutschlands, der andere mit einem Trainer, der schon länger im Amt ist als Christian Streich (57). Was Frank Schmidt (49) seit Jahren leistet, ist bemerkenswert, ebenso die Arbeit von Torsten Lieberknecht (49) in Darmstadt.
Sportlich haben es beide definitiv verdient, Zuschauermagneten sind und werden beide Vereine aber wohl nie. Der Tabellenführer aus Hessen hat einen Zuschauerschnitt von 15.423, Heidenheim 10.621 - bei einer Stadionkapazität von 15.000.
Zum Vergleich: Hertha hat als inzwischen etwas abgeschlagener Tabellenletzter einen Zuschauerschnitt von 51.863. Das ist Platz fünf in der Gesamtwertung. Trotz jahrelanger Nackenschläge, Häme und Spott strömen die Berliner weiter ins Olympiastadion. Nur Gladbach, Schalke, Dortmund und Bayern ziehen noch mehr Fans an.
Mit Hertha BSC wird es nie langweilig
Nichts gegen Heidenheim und Darmstadt, die sich den Aufstieg wirklich verdient haben, das Verschwinden der Traditionsklubs kann aber auch nicht im Interesse der DFL sein. Anders lässt sich nicht erklären, warum Vereine wie Hoffenheim (23 Mal), Augsburg (23) und Wolfsburg (21) ständig samstags um 15.30 Uhr spielen, während Gladbach in der kompletten Saison nur ganze neunmal bei den bei Fußballfans am beliebtesten Termin ran durften.
Übrigens: 2025 läuft der aktuelle Fernsehvertrag aus. Dass dann Heidenheim gegen Augsburg in China Werbung für die Bundesliga ist oder ein Quotenhit wird, darf zumindest bezweifelt werden.
Man kann ja Hertha vieles vorwerfen, eines ist der 130 Jahre alte Verein aus Westend aber mit Sicherheit nicht: langweilig. Der Hauptstadtklub liefert immer. Und sei es zum Leidwesen der Anhänger.
Wer will schon hart arbeitende Vereine, die das Maximum aus ihren Möglichkeiten herausholen, sehen, wenn man auch eine Spionage-Affäre, schlechte Karikaturen, Jürgen Klinsmann (58) und Facebook-Live haben kann? Und an wen sollen sich andere abarbeiten?
Bei der Alten Dame weiß man nie, was man bekommt
Geht Hertha in die 2. Liga, verliert die Bundesliga nicht nur das einzige Stadtderby, sondern auch jede Menge Geschichten. Die Stadt ist ohnehin geteilt. Wer äußerst erfolgreichen und pragmatischen, nicht aber gerade attraktiven Fußball sehen will, muss in Zukunft dann nach Köpenick gehen (falls man überhaupt eine Karte bekommt). Eine Mannschaft, die die Wir-gegen-den-Rest-der-Welt-Mentalität wie kaum eine zweite verinnerlicht hat. Ein Offensivfeuerwerk sollte man an der Alten Försterei aber eher nicht erwarten.
Die Alte Dame wiederum ist derzeit keines von beiden - weder attraktiv noch erfolgreich. Dafür aber weiß man nie, was man bekommt. Hertha kann Gladbach mit 4:1 aus dem Stadion schießen oder aber beim Tabellenletzten untergehen, um dann die Woche drauf inklusive Trainerwechsel mit 0:4 hinten zu liegen.
Man kann zig Millionen Euro investieren, mit Jung von Matt den nächsten Imagewandel vorantreiben, als Big City Club verhöhnt werden oder aber den Berliner Weg einschlagen - man kriegt Hertha nicht aus Hertha! Dafür muss man diesen Verein einfach lieben!
Titelfoto: Soeren Stache/dpa