Julius Reinhardt macht Feierabend: "FSV hat mir den Spaß am Fußball zurückgebracht"
Chemnitz - 275 Spiele bestritt Julius Reinhardt (33) in der 2. und 3. Liga. Jetzt hat der Mittelfeldstratege seine Profikarriere beendet!
Reinhardt, geboren in Chemnitz, das damals noch Karl-Marx-Stadt hieß, wurde beim Chemnitzer FC ausgebildet. Als er im Mai 2010 im Landespokal gegen Dynamo Dresden (2:0) zwei Tore schießt und im anschließenden Finale gegen den FC Erzgebirge Aue (3:2) ebenfalls trifft, öffnen sich die Tore in die weite Fußballwelt.
Trainer Torsten Lieberknecht (47) holt den damals 22-Jährigen zu Eintracht Braunschweig. Ein Jahr später steigt Reinhardt mit den Niedersachsen in die 2. Bundesliga auf. Das schafft er 2014 auch mit dem 1. FC Heidenheim. Doch es gab nicht nur Höhen, wie der zweifache Familienvater im Interview mit TAG24 verriet.
TAG24: Wie lebt es sich als Fußballprofi a.D.?
Reinhardt: "Ich gehe gerade mit meiner fast einjährigen Tochter spazieren und genieße die Zeit mit meiner Familie. Die ist in den über 14 Jahren, die geprägt waren von intensiven Vorbereitungen, vielen, vielen Trainingseinheiten und Spielen, zu kurz gekommen. Wir können in diesem Sommer mal etwas länger in den Urlaub fahren. Das war im Leistungssport sonst nicht möglich."
Julius Reinhardt über die leeren Stadien: "Seit Corona ist es in den Stadien trist und traurig"
TAG24: Ihr Ende kam für viele überraschend. Wie lange haben Sie sich mit diesem Gedanken getragen?
Reinhardt: "Die Entscheidung ist seit einem Jahr in mir gereift. Ich habe die letzten Wochen der Saison 2019/20 nur noch unter Schmerzen gespielt. Aber ich wollte mich in den Dienst der Mannschaft stellen und unbedingt den Abstieg verhindern. Das haben wir in einem Herzschlagfinale geschafft. Mental und körperlich waren diese Wochen für alle extrem herausfordernd und grenzwertig. Die Hoffnung, dass meine Sprunggelenkverletzung über den Sommer hinweg abheilt, erfüllte sich leider nicht. Ich musste operiert werden. Danach war ich nicht mehr der Alte. Ich war nicht mehr zufrieden mit mir."
TAG24: Haben die leeren Stadien den Abschied erleichtert?
Reinhardt: "Ich denke schon. Ich habe kürzlich ein paar Videos von mir angeschaut mit Spielen von früher. Unfassbar, wie gigantisch die Stimmung mit Zuschauern war. Seit Corona ist es in den Stadien trist und traurig."
TAG24: Wie zufrieden sind Sie mit Ihrer Karriere?
Reinhardt: "Mir ist nichts in den Schoß gefallen, ich musste mir alles hart erarbeiten und erkämpfen. Ich kenne viele Supertalente, die es nicht bis in die 2. oder 3. Liga geschafft haben. Natürlich gehört immer auch Glück dazu. Das hatte ich mit meinen Toren im Landespokal-Halbfinale und -Endspiel. Daraus ergab sich der Wechsel nach Braunschweig. Der Aufstieg mit der Eintracht und später mit Heidenheim waren besondere Momente. Auch der Klassenerhalt mit dem FSV vor einem Jahr, diese absolute Willensleistung der Mannschaft und der emotionale Empfang nach der Rückkehr aus Mannheim bleiben unvergesslich."
Insolvenzen des Chemnitzer FC und mit Kickers Offenbach als Karriere-Tiefpunkte von Julius Reinhardt
TAG24: Was waren die Tiefpunkte?
Reinhardt: "Die beiden Insolvenzen mit Kickers Offenbach und beim Chemnitzer FC. Aber die Dinge sind so, wie sie sind. Als Mensch haben sie mich stärker gemacht."
TAG24: War die Rückkehr zum CFC im Sommer 2016 ein Fehler?
Reinhardt: "Ob es ein Fehler war, weiß ich nicht. Wir waren als Familie allein in Heidenheim und wollten zurück in die Heimat. Die zwei Jahre beim CFC hatte ich mir definitiv anders vorgestellt. Es war immer sehr unruhig im Verein, es gab viele Nebenschauplätze, die Lust am Fußball ging zunehmend verloren."
TAG24: Nach dem Abstieg 2018 wechselten Sie nach Zwickau…
Reinhardt: "Hier habe ich ein unheimlich schönes Miteinander erlebt, Harmonie, Gemeinschaft. Der FSV hat mir den Spaß am Fußball zurückgebracht. Auch wenn wir jedes Jahr um den Klassenerhalt kämpfen mussten, es waren drei sehr schöne Jahre."
Titelfoto: picture point/Sven Sonntag