Aue-Boss Leonhardt erklärt seinen Rücktritt: "Ich erhielt anonyme Drohanrufe"

Aue - Helge Leonhardt (63) übernimmt Verantwortung und tritt als Präsident zurück! Diese Nachricht schlug am gestrigen Sonntag ein wie eine Bombe. Der FC Erzgebirge Aue steht ohne sein langjähriges Gesicht da, den Charakterkopf, der für sportliche Erfolge, solide Finanzen, zuletzt aber auch vermehrt personelle Fehlentscheidungen und einhergehenden Misserfolg stand.

Ein FC Erzgebirge Aue ohne die Leonhardt-Zwillinge Helge (63, l.) und Uwe (63) ist kaum vorstellbar.
Ein FC Erzgebirge Aue ohne die Leonhardt-Zwillinge Helge (63, l.) und Uwe (63) ist kaum vorstellbar.  © imago/eibner

In den letzten anderthalb Jahren sah sich Leonhardt immer vehementer öffentlich vorgetragener Kritik gegenübergestellt, die ihn dazu bewog, die Reißleine zu ziehen. "Ich erhielt anonyme Drohanrufe, woraufhin mich meine Kinder baten zurückzuziehen", berichtet Leonhardt TAG24. In der Vereinsmitteilung bat er vorab "diese Entscheidung, die auch im Sinne meiner Familie getroffen wurde, zu respektieren".

Nach dem verlorenen Derby gegen Zwickau (0:1) sowie dem jüngsten 1:3 bei 1860 München zeigte sich "Leo" dagegen noch kämpferisch. Er wollte die Suppe auslöffeln, die er Aue mit eingebrockt hatte, weil man sich jahrelang scheute, einen Sportchef zu installieren. Leonhardt wäre gut beraten gewesen, sich diesen auswärtigen Berater zu holen, denn mit allen internen Einflüsterern war er letztlich schlecht beraten.

Das zeigte sich am Umgang mit Ex-Coach Dirk Schuster (54). Ihn 2019 ins Lößnitztal zu holen, war - neben klugen Spielertransfers, wie denen von Pascal Testroet (31) und Florian Krüger (23) - eines von Leonhardts Meisterstücken. Aue hielt zweimal souverän als Siebter und Zwölfter die 2. Bundesliga.

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Doch mit Schlägel und Eisen wurde im Kumpelverein an Schuster gearbeitet. Die Wege sind bekanntlich kurz. Leonhardt ging manchem auf den Leim. Ein 3:8 (!) gegen Paderborn am 9. Mai 2021 beendete Schusters erfolgreiche Zeit und läutete den schleichenden Abstieg ein.

Was folgte, waren drei Trainerwechsel, der Zweitliga-Abstieg und ein kompletter Umbruch. Timo Rost übernahm im Sommer auf der Trainerbank, fuhr bisher aber nicht die Ergebnisse ein, die das Umfeld erwartete. Alles zusammen unterspülte das stabile Fundament, auf dem die Leonhardts - unter der Präsidentschaft von Zwillingsbruder Uwe (63) stieg der Verein 2003 mit Gerd Schädlich erstmals in die 2. Bundesliga auf - standen.

Die Nähe zur Basis machte Helge Leonhardt populär

Die Verpflichtung von Dirk Schuster (54, l.) war das Meisterstück von Helge Leonhardt (63), die Entlassung des Trainers allerdings ein schwerer Fehler.
Die Verpflichtung von Dirk Schuster (54, l.) war das Meisterstück von Helge Leonhardt (63), die Entlassung des Trainers allerdings ein schwerer Fehler.  © Picture Point/Roger Petzsche

Helge Leonhardt konnte auch mal einen heraushauen und den authentischen Klubchef zum Anfassen geben, und verzog sich am Spieltag gerade nicht ins stille Kämmerlein im VIP-Bereich. Er verstand es auch, dem Volk aufs Maul zu schauen. Jene Nähe zur Basis machte ihn populär. Dass genau diese Basis seinen Kopf forderte, dürfte ihn derart hart getroffen haben, dass er am Sonntag seinen Rückzug bekannt gab.

Wobei etwas an der Mitteilung stutzig macht. Dort heißt es: "...dass ich dem Präsidium des Aufsichtsrats in einer konstituierten Sitzung mitgeteilt habe, dass ich als Präsident [...] meinen Rücktritt bekannt gebe".

Eine "konstituierende Sitzung" meint im Fachjargon das Zusammentreten eines neu gewählten Gremiums, was beim FCE nach einer Mitgliederversammlung geschieht und nicht auf einer Krisensitzung. Das lässt Raum für Spekulationen.

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Auch nicht unter den Tisch fallen darf, dass der FCE ein eingetragener Verein ist. Es wäre ein Unding, wenn offene Briefe von Fanclubs und Sponsoren einen gewählten Vorstandschef zum Rücktritt verleiten. Immerhin ist er in erster Linie den Mitgliedern Rechenschaft schuldig - und das sind aktuell 9419!

Lotse an Bord!

Kommentar von Michael Thiele

Helge Leonhardt hielt das Steuerrad für acht Jahre fest in der Hand. Der FC Erzgebirge befand sich unter ihm lange Zeit in ruhigem Fahrwasser, spielte sechs Jahre in Serie 2. Bundesliga. Stromschnellen, wie Corona, wurden umschifft, Untiefen rechtzeitig erkannt. Bis zur Trennung von Dirk Schuster!

Unter dem erfahrenen Fußball-Lehrer, einem aus der Region, hielt Aue zweimal souverän die Klasse. Dennoch wurde ihm ein antiquierter, langweiliger Spielstil vorgeworfen. Ein Luxusproblem, verglichen mit der gegenwärtigen Lage. Man wollte mehr, als es der Standort - auch wirtschaftlich - hergab.

Das wiederholt sich in der laufenden Saison. Aue ist Absteiger, aber kein Krösus. Man täte gut daran, sich auf die Wurzeln zu besinnen. Kumpelverein. Wismut-DNA. Das bleiben so lange Worthülsen, wie sie nicht mit Leben ausgefüllt werden. Man trägt sie jedem Neuzugang an. Aber wer lebt es ihnen vor?

Lange Zeit hieß die Antwort: Helge Leonhardt. Der Kapitän verließ am Sonntag das Deck. Übernimmt für ihn ein neuer Schiffsführer oder holt sich der Kumpelverein einen Lotsen, der die Klippen umschifft, ohne dass jemand von Bord geht? So oder so, der Verein steht vor der Frage, wie er im sicheren Hafen landet.

Titelfoto: imago/eibner

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