WM Finale: Mexiko 1970: Als der Schiri vor Aufregung die Pfeife fallen ließ
Markranstädt - Fragt man die Haudegen der älteren Generationen nach der schönsten Fußball-WM, kommen sie an Mexiko 1970 kaum vorbei. Nicht nur, dass dieses Turnier erstmals weltweit - sogar in Farbe - im Fernsehen zu sehen war. Es lebte von den legendären Partien. So war Deutschland nach zwei "Jahrhundertspielen" gegen England und dann Italien ausgeschieden. Dennoch stand ein Sachse im Finale. Schiedsrichter Rudi Glöckner aus Markranstädt pfiff heute vor 50 Jahren das Endspiel zwischen Brasilien und Italien (4:1). Er blieb seither der einzige deutsche Referee, dem diese Ehre zuteil wurde. Und ein Fußballgott wurde nebenbei unsterblich.
Dass er der Auserwählte ist, bekam Rudi Glöckner morgens am Briefkasten gleich doppelt mitgeteilt. Denn da fand er ein Glückwunsch-Telegramm seiner Tochter aus Leipzig, die wegen der Zeitverschiebung bereits früher Bescheid wusste. Und als Bestätigung öffnete er den Fifa-Umschlag mit der lapidaren Aufschrift "Spiel 32".
Denn als es um den Schiri für das Finale ging, lehnten die Brasilianer einen der namhaften Schiedsrichter aus Europa ab. Und die Italiener wollten keinen Südamerikaner. Also fiel die Wahl auf den nahezu unbekannten Vertreter aus der DDR, der zu diesem Zeitpunkt gerade einmal auf zwei Länderspiele kam.
Weil der Arbeiter-und-Bauern-Staat an der Qualifikation für die 16 Mannschaften des Turniers scheiterte, war die Delegation in Mexiko recht überschaubar. Um die Aufregung zu verdrängen, spielte Glöckner die zwei Nächte vor dem Endspiel leidenschaftlich Skat - mit Nationaltrainer Georg Buschner und Reporterlegende Heinz-Florian Oertel.
Brasilien gegen Italien: Rudi Glöckner pfiff "Im Stil eines Klassemannes"
Viel half es nicht. Denn als vor 107 412 Zuschauern im tobenden Azteken-Stadion die Hymnen gespielt wurden, ließ Rudi seine Pfeife auf den Boden fallen. Doch mit dem Anpfiff war die Aufregung wie weggeblasen. Die mexikanische "El Herado" urteilte: "Der DDR-Unparteiische amtierte im Stile eines Klassemannes."
Fußballgott Pelé brachte Brasilien schnell in Führung, bevor die Italiener nach einer hanebüchenen Fehlerkette in der Abwehr ausglichen. In Halbzeit zwei waren die Italiener - auch wegen der epischen Verlängerung gegen Deutschland - platt. Die Höhenluft von Mexiko-Stadt und die Hitze machten allen zu schaffen.
Nur zwei Mal fiel Glöckner auf. Einmal, als er eine weitere Chance Pelés - wohl zu Recht - abpfiff. Und als er den brasilianischen Masseur Mário Américo, der wegen seiner Show-Einlagen weltweit als Star und Wundermedizinmann galt, das Betreten des Platzes verweigerte. Zeit schinden war mit "Glocke", wie er in seinem Stammverein bei Rotation Leipzig hieß, nicht möglich.
Das Endspiel war der internationale Durchbruch für Rudi Glöckner. Noch im selben Jahr pfiff er das Endspiel um den Weltpokal, im Jahr darauf das Finale im Messecup. Es sollten weitere folgen. Nach wie vor ist Glöckner, der 1999 in seiner Heimatstadt Markranstädt starb, der deutsche Schiri mit den meisten internationalen Endspielen.
Auch wenn er schon vor der Wende seine Karriere beendete, war er auch in der Bundesrepublik anerkannt und legendär. In einem Nachruf schrieb der "Kicker": "Rudi Glöckner war ein Freund der Spieler. Den Holzer bestrafte er, den Techniker schützte er, dem Meckerer verzieh er."
Und der Magdeburger Weltklasse-Schiri Bernd Heynemann, der sowohl DDR-Oberliga und Bundesliga pfiff, antwortet auf die Frage nach dem idealen Schiedsrichter: "Die Ruhe von Rudi Glöckner war beeindruckend."
Mexiko 1970: Pelé wurde spätestens in diesem Spiel unsterblich
Während Rudi Glöckners Karriere heute vor 50 Jahren erst so richtig begann, setzte ein Fußballgott der seinigen die Krone auf: Edson Arantes do Nascimento, Pelé genannt, wurde nach 1958 und 1962 zum dritten Mal Fußballweltmeister. Das ist ein Rekord, der wohl für die Ewigkeit halten wird.
Bereits als 17-Jähriger nahm der Zauberfuß 1958 an der Weltmeisterschaft in Schweden teil. Aus dieser Zeit hält er zwei weitere WM-Rekorde: der jüngste Spieler, der bei einer WM traf und auch der Jüngste, der im Finale ein Tor erzielte.
Seine Tore bleiben sicher auch wegen der Schönheit oder den Überraschungsmomenten in Erinnerung. Andererseits ist es aber auch die schiere Menge an Treffern: in den 1363 Spielen seiner Karriere netzte er 1281 Mal ein - eine unglaubliche Quote.
Alfredo di Stefano, vor Pelé der beste Spieler der Geschichte, hat so viele Stars kommen und gehen sehen. Er sagte: "Messi und Cristiano Ronaldo sind großartige Spieler mit außerordentlichen Fähigkeiten. Aber Pelé war besser!"
Titelfoto: Imago Images/Sven Simon