16 Stunden durchgezockt: Profifußballer packt über Videospielsucht aus
England - Wie viele Profifußballer sind süchtig nach Videospielen? Diese Frage stellt sich nach einem brisanten Artikel in der englischen Zeitung "The Sun".
Dort stand ein Profi, der namentlich nicht genannt werden wollte, damit sein Ruf nicht gefährdet wird, Rede und Antwort und gewährte tiefe Einblicke in sein abgründiges Zockerleben.
Der Spieler, dessen Vertrag bei einem englischen Zweitligisten im Sommer ausläuft, sagte, dass Videospielen ein "massives Problem" geworden ist.
Denn die Kicker haben zwischen Training und Spielen auf Flügen, Fahrten und im Hotel viele Stunden totzuschlagen.
So auch der frühere deutsche Nationalspieler Mesut Özil. Sportwissenschaftler und Gesundheitsexperte Prof. Dr. Ingo Froböse von der Deutschen Sporthochschule in Köln meint, das stundenlanges Videospielen für die wiederkehrenden gesundheitlichen Probleme des Arsenal-Stars verantwortlich sein könnten: "Es könnte die Ursache für Özils Rückenprobleme sein, weil ein Leistungssportler Stunden von Inaktivität viel schneller spürt, als ein Nicht-Sportler."
Von den Auswirkungen auf die Konzentration mal ganz zu schweigen. Denn wenn die Kicker zocken und ihre ganzen Glückshormone ausgeschüttet werden, sind sie am Spieltag "flach wie ein Pfannkuchen", sagt Jeff Whitley von der PFA (Professional Footballers' Association; Vereinigung der Vertragsfußballer). Sie seien ein mentales "Wrack".
Besonders Games wie "Fortnite" oder "FIFA" stehen bei den Profis hoch im Kurs. So sollen Harry Kane, Dele Alli und Kieran Trippier während der Weltmeisterschaft 2018 in Russland insgesamt 1137 Spiele "Fortnite" gezockt haben. Das sind umgerechnet circa 379 Stunden!
Das populäre Videospiel hat weltweit rund 250 Millionen Gamer. Im Modus "Battle Royale" treten bis zu 100 Spieler alleine oder in einem Team von bis zu vier Spielern gegeneinander an.
Der Spieler, der als letzter noch am Leben ist, hat gewonnen. Da Fußballer schon im frühen Alter darauf getrimmt werden, immer besser zu werden, um öfter erfolgreich zu sein, seien sie besonders anfällig, sagt der Psychotherapeut Steve Pope, Spezialist für Sucht, Depressionen und Angst.
Das Gefühl, einen Traumpass zu spielen oder ein entscheidendes Tor zu schießen, lasse sie in ihrem Job so stark sein: "Das Gehirn mag dieses Gefühl, diese Erregung, diesen Rausch", so Pope.
Wenn Spieler dieses Hochgefühl vom Fußball nicht in ausreichendem Maße bekommen, wenden sie sich anderen Dingen zu: "Alkohol, Drogen, Glücksspiel oder Videospielen." Schließlich sind Fußballer darauf konditioniert, Leistungssportler zu sein. Und bei Games wie "Fortnite" geht es genau darum: Mit anderen in Konkurrenz zu stehen und möglichst der beste zu sein.
Das wiederum erfordert - ganz wie der Fußball selbst - viel Übung. So gab der nicht genannte Kicker an, schon einige Male das Training ausgelassen zu haben, um weiterzocken zu können: "Ich spiele zwischen acht und zehn Stunden am Tag, aber einmal habe ich 16 Stunden vor einem Spiel durchgezockt."
Dass er dabei bis zwei oder drei Uhr nachts wach bleibt, sei für ihn "normal". Doch "als ich anfing, das Training zu verpassen, war mir klar, dass ich Hilfe brauche, weil ich auch Probleme mit meinem Club bekam."
Das gehe seit einem Jahr so: "Wenn mir gesagt wird, dass ich aufhören soll zu zocken, bin ich manchmal ziemlich aggressiv. Ich habe Stimmungsschwankungen."
Er habe nun Angst, dass seine Sucht zum vorzeitigen Karriereaus und Ende seiner Beziehung führen könnte und ging auch deshalb anonym an die Öffentlichkeit.
Denn er kennt viele andere Profis, die häufig zocken. Die Videospielsucht wird als "stille Epidemie" bezeichnet, weil Kicker darauf nicht getestet werden können, nur wenige professionelle Hilfe in Anspruch nehmen und die Clubs bis auf Verbote weitgehend machtlos und auch überfordert mit der Situation sind.
Die PFA wurde von mehreren Vereinen kontaktiert, die besorgt über die Videospielgewohnheiten ihrer Kicker sind. Die Videospielsucht ist ein schwellendes Problem, für das Verband und Vereine gemeinsam mit den Spielern erst noch Lösungen finden müssen.