Wieso eigentlich erst jetzt? Das ist Flicks Debüt-Oldie!
Wolfsburg - "Auch ich war überrascht", erklärte Pascal Groß (32) auf der Pressekonferenz vor dem Spiel der deutschen Nationalmannschaft gegen Japan (Samstag, 20.45 Uhr). Erstmals steht der Mittelfeld-Routinier im DFB-Kader und könnte damit zu einem der ältesten Debütanten überhaupt werden. Aus dem Nichts kommt die Nominierung des gebürtigen Mannheimers allerdings keinesfalls.
Hierzulande fliegt der Stratege von Brighton & Hove Albion traditionell unterm Radar, dabei lassen sich seine Errungenschaften der vergangenen Jahre durchaus sehen.
Mit 27 Treffern ist er der viertbeste deutsche Torschütze in der Geschichte der englischen Premier League sowie der erfolgreichste Goalgetter in der Oberhaus-Historie der "Seagulls".
Dazu gesellen sich starke 35 Vorlagen - ebenfalls Vereinsrekord - und satte 196 Einsätze. Nur Didi Hamann (50, 268 Spiele) und Robert Huth (39, 322 Spiele) kamen als Deutsche noch häufiger in der Insel-Beletage zum Zug.
Klar, Standhaftigkeit allein sollte noch nicht reichen, um einen Platz in der umkämpften Landesauswahl zu ergattern. Aber die Entwicklung von Groß ist beeindruckend und lässt sich mit bloßen Zahlen gar nicht wirklich greifen.
Der Rechtsfuß stammt aus dem Nachwuchs der TSG 1899 Hoffenheim und feierte nach vielversprechenden Auftritten in der A- und B-Jugend während der Saison 2008/09 sein Bundesliga-Debüt für die Profi-Mannschaft der Kraichgauer.
Vom FC Ingolstadt ging es für Pascal Groß in die Premier League
Der große Durchbruch blieb allerdings vorerst aus, stattdessen heuerte das schmächtige Talent ohne wirklich angestammte Position beim Karlsruher SC in der 2. Liga an.
Schon damals kristallisierte sich sein Gespür für Spielsituationen und ein gewisses Geschick beim ruhenden Ball heraus, weshalb er dem Unterhaus nach dem KSC-Abstieg 2012 erhalten blieb und zum FC Ingolstadt wechselte.
In der Autostadt etablierte sich Groß endgültig im Profifußball und bestach in der Aufstiegssaison 2014/15 mit überragenden 23 Assists. Seine Qualitäten und elf Scorerpunkte konnten die Schanzer zwar anschließend nicht in der Bundesliga halten, doch an der Südküste Engalnds hatte ein frischgebackener PL-Aufsteiger genau hingeschaut.
"Die wussten alles", sagte der Mittelfeldmann 2019 im Interview mit Transfermarkt. Tatsächlich ist Brighton auf der Insel für sein ausgezeichnetes und modernes Scouting nach dem "Moneyball-Prinzip" - also einer intensiven statistischen Auswertung - bekannt.
Die Analyse sollte sich lohnen, denn der eher unbekannte Neuzugang schlug in der Folge voll ein und gehörte seitdem permanent zur erweiterten Stammelf. Dabei fällt Groß jedoch nicht unbedingt mit einer extravaganten Spielweise auf.
Pascal Groß passt perfekt zu Brighton - und auch in die Nationalmannschaft?
Der vielseitige Strippenzieher kann fast überall auf dem Platz zum Einsatz kommen. Ob als Außenverteidiger, in der defensiven und offensiven Zentrale oder als hängende Spitze - die Trainer der "Seagulls" wussten seine überragende Spielintelligenz stets zu schätzen und den Leader einzubauen.
Ohnehin steht der Klub seit Jahren für einen fortschrittlichen Ansatz, bei dem starre Systeme der Vergangenheit angehören. Als Personifikation eines mannschaftsdienlichen Kickers passte der Mannheimer da natürlich vorzüglich rein, auch wenn er die Acht bei der DFB-PK als seine "beste Position" bezeichnete.
"Ich bin ein Mannschaftsspieler, das ist meine größte Stärke", unterstrich Groß am Dienstag in Wolfsburg. "Ich probiere einfach, meine Rolle zu erfüllen, wenn ich Spielminuten bekomme."
Das gelang ihm beim Überraschungsteam aus dem idyllischen Urlaubsort fortlaufend. Dort macht er die nötigen Wege, arbeitet unermüdlich und lässt die Individualisten damit aufblühen.
Der Denker und Lenker interpretiert die Geschehnisse auf dem Rasen ein ums andere Mal mit Bravour und ist neben seinen eigenen Vorlagen auch der Mann für die Pässe vor dem Assist.
Einer zuletzt oft als ideen- und planlos kritisierten Nationalelf kann das definitiv nicht schaden. Bundestrainer Hansi Flick (58) muss sich eher vorwerfen lassen, dem Dauerbrenner nicht schon früher eine Chance gewährt zu haben.
Mit 32 Jahren und am morgigen Samstag 86 Tagen würde Groß in die Top Ten der ältesten DFB-Debütanten aller Zeiten stoßen. Die Erstauftritte der anderen Rekord-Oldies liegen dabei meist schon über 60 Jahre zurück.
In der jüngeren Vergangenheit durften sich nur Roman Weidenfeller (2013 mit 33 Jahren und 105 Tagen, heute 43) und Martin Max (2002 mit 33 Jahren und 253 Tagen, heute 55) über eine späte Gelegenheit freuen.
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