Nächste Enttäuschung zum Jubiläum: Muss sich die DFB-Elf Sorgen um die Heim-EM machen?
Bremen - Vielen Fans der deutschen Nationalmannschaft ist nach dem ernüchternden 3:3-Remis zum 1000. Jubiläums-Länderspiel gegen die Ukraine schon wieder angst und bange geworden. Gerade mit Blick auf die anstehende Europameisterschaft 2024 in heimischen Gefilden schwelt die Frage: Erwartet die DFB-Auswahl das nächste frühe Aus im vierten großen Turnier in Folge?
"Das Bremer Publikum ist halt qualitativ sehr hochwertigen Fußball gewohnt. Deswegen kamen da wahrscheinlich auch ein paar Pfiffe" scherzte 1:0-Torschütze Niclas Füllkrug (30) angesprochen auf seine Auswechslung und die missbilligende Reaktion im Weserstadion.
Der Knipser legte damit aber auch schelmisch den Finger in die Wunde, denn der Auftritt in seinem Wohnzimmer offenbarte mal wieder große Defizite und erinnerte stark an die Partie gegen Japan bei der WM in Katar oder die beiden Duelle gegen "Angstgegner" Ungarn aus der Nations League.
Vor allem die ersten zwei Treffer der ukrainischen Gäste resultierten aus Abstimmungsproblemen der Defensive, während man sich vorn am tiefen und beherzt verteidigenden Block trotz des frühen Dosenöffners lange Zeit die Zähne ausbiss.
Und trotzdem sollte der Antrag auf die Verlegung der EM 2024 vorerst in der Schublade bleiben.
Denn für Panikmache war die Begegnung nicht nur der falsche Anlass, sondern brachte auch viel zu wenig neue Erkenntnisse.
Die deutsche Nationalmannschaft besitzt immer noch großes Potenzial
Dass die Dreierkette aus Antonio Rüdiger (30), Matthias Ginter (29) und Nico Schlotterbeck (23) nicht eingespielt sein kann, weil das Trio noch nie gemeinsam von Beginn an auf dem Rasen stand, merkte auch ZDF-Experte Sandro Wagner (35) richtigerweise an.
Zeit und Routine seien das beste Mittel gegen derartige Schwachstellen, dann würde die Abstimmung "automatisch kommen, das sind ja alles Spitzen-Athleten", so der Ex-Angreifer.
Die DFB-Auswahl befindet sich immer noch im Umbruch, auch wenn der länger dauert, als sich das zahlreiche Anhänger erhofft haben. Das Experiment von Bundestrainer Hansi Flick (58) wurde mit drei Gegentoren bezahlt, dazu sind Freundschaftsspiele wie das vom Montagabend allerdings auch da.
Darüber hinaus mischten sich genug Aktionen unter, die durchaus Mut machten. Gerade Füllkrug harmonierte vom Anpfiff weg eigentlich gut mit seinen Nebenleuten, vor allem die Kombinationen mit Julian Brandt (27) hatten Hand und Fuß. Die Klasse, die potenziell im Team steckt, war erneut unverkennbar. Die Effizienz und letzte Konsequenz fehlten.
Außerdem ist die Ukraine keine Laufkundschaft. Abwehrchef Mykola Matvienko (27) hat insgesamt 25 Partien in der Champions League auf dem Buckel, sein hochtalentierter Nebenmann Ilya Zabarnyi (20) wechselte im Winter für rund 23 Millionen Euro in die englische Premier League.
In die hat es bekanntlich auch Mykhaylo Mudryk (22) im Tausch für ordentlich Zaster verschlagen, während Doppel-Torschütze Viktor Tsygankov (25) jahrelang als eines der größten Talente des Landes galt und mittlerweile erfolgreich in der spanischen LaLiga sein Unwesen treibt.
Hansi Flick läuft die Zeit davon
Und trotzdem gibt es ein großes "Aber", denn so langsam aber sicher läuft Flick die Zeit davon, zumindest wenn man zur Heim-EM den Titel anpeilen möchte.
Das Spielermaterial steht dafür eigentlich zur Verfügung, auch Additionen wie Spätzünder Marius Wolf (28) und der endlich wieder genesene Florian Wirtz (20) bereichern die Mannschaft, doch eine wirkliche Achse lässt sich noch nicht erkennen.
Bildet sich das EM-Team um Ilkay Gündogan (32)? Wie sieht die Vierer- oder Dreierkette aus? Und welche Rolle wird Riesentalent Jamal Musiala (20) einnehmen? Der 58-jährige DFB-Coach scheint auch nach über anderthalb Jahren Amtszeit immer noch sein Grundgerüst zu suchen.
Das kann zwar langfristig im Erfolg münden, ist bis zum nächsten großen Turnier aber eine ambitionierte Aufgabe. Insbesondere, wenn man die Truppe mit den Weltmeistern von 2014 vergleicht.
Die deutsche Elf wuchs damals organisch und harmonierte hervorragend, der WM-Titel avancierte so zu einem reifen Apfel, der nur noch gepflückt werden musste.
Auch Flick weiß, dass neben der stetigen Beteuerung, auf jeden Fall einen Plan zu verfolgen, irgendwann nur noch nackte Tatsachen und Ergebnisse zählen, wie er im Vorfeld des Ukraine-Spiels selbst betonte.
Um etwas Ruhe für den Sommer zu bekommen, wären nicht nur vielversprechende Ansätze, sondern zwei Siege gegen Polen (16. Juni, 20.45 Uhr) und Kolumbien (20. Juni, 20.45 Uhr) wichtig. Sonst dürften die am Projekt des Übungsleiters zweifelnden Stimmen noch lauter werden.
Titelfoto: Christian Charisius/dpa