Bulimie, Depressionen und Manipulation durch die Bundestrainerin: Nächste Turnerin packt aus
Ulm/Stuttgart - Als am 18. Dezember der Deutsche Turner-Bund das überraschende Karriere-Ende der erst 17 Jahre alten Meolie Jauch bekannt gibt, regt sich in aktuellen und ehemaligen Athletinnen in ganz Deutschland innerlicher Widerstand. Sie wollen nicht länger schweigen.
Schweigen über das, was sie intern längst angesprochen haben, vom Verband aber ignoriert wird. Als Erstes geht Tabea Alt (24) an die Öffentlichkeit, nach ihrem mutigen Schritt folgen immer mehr Athletinnen, die schockierende Details aus einem jahrelangen Martyrium berichten.
Sie alle hatten den Traum, in der so ästhetisch, aber auch kraftvoll und anmutig wirkenden Sportart Großes zu erreichen. Sie alle träumten vom Treppchen bei Olympischen Spielen oder Weltmeisterschaften. Was sie dafür in Kauf nehmen mussten schnürt einem mit jeder neuen Enthüllung die Kehle sprichwörtlich zu.
So wie die Erzählungen von Janine Berger (28). In ihrer gesamten Karriere ging es nur um ihr Gewicht, wie sie berichtet. Nach den Olympischen Sommerspielen 2012 in London, als sie aufgrund eines Kampfrichter-Fehlers die Bronzemedaille verlor, wurde ihr vermittelt, ihr Gewicht sei schuld gewesen.
"Und das damals bei acht Prozent Körperfett", erinnert sie sich in einem Post bei Instagram. Sukzessive sei sie in eine Essstörung hinein katapultiert worden.
"Es war mein Traum und irgendwann glaubte ich den Aussagen, dass ich zu viel wiegen würde. Ich aß und kotzte alles wieder raus", beichtet sie eine Bulimie-Erkrankung.
Janine Berger: Bundestrainerin Ulla Koch befahl ihr einen riskanten Sprung und verdrehte danach die Tatsachen
Daneben berichtet sie von Machtmissbrauch und enormem psychischen Druck, von Drohungen und Geldkürzungen, wenn das Gewicht auf der Waage nicht stimmte.
"In der Woche vor meinem Unfall 2014 wurde ich mehrmals von der Bundestrainerin angerufen, ob mein Gewicht endlich weniger werden würde und dass ich beim kommenden Wettkampf meinen Olympiasprung springen müsse. Ich tat es und habe mein Knie völlig zerstört. Einen Tag später hatte sich die Bundestrainerin in der Presse geäußert, dass ich allein entschieden hätte, den Sprung zu turnen. Sagt man als Athlet etwas, ist man raus", erinnert sie sich an eine beklemmende Begebenheit.
Gemeint sind die Deutschen Meisterschaften in der SCHARRena Stuttgart, bei denen sich Berger am 24. August 2014 am Sprung einen Kreuzbandriss im linken Knie zuzog.
Nach dem Unfall schiebt die damalige Bundestrainerin Ulla Koch (69) der Athletin die Schuld in die Schuhe.
Der Deutsche Turner-Bund will lückenlos aufarbeiten
"Als ich die Sprungnummer sah, habe ich gedacht, das darf nicht wahr sein. Ich habe ihr schon nach dem Mehrkampf gesagt, dass sie im Finale nicht aufstocken soll. Ich hatte gedacht, dass das gemacht wird, was ich sage. Ein unnötiges Risiko zu diesem Zeitpunkt", erklärte die Rheinländerin damals. Sie gab an, Berger sei das Risiko aufgrund des besseren Programms von Pauline Schäfer-Betz (27) eingegangen. Laut Berger eine blanke Lüge!
Mit dem Wissen, dass Koch Berger den Sprung im Vorfeld der Meisterschaft befohlen hatte, wird deutlich, mit welchen Methoden gearbeitet wurde. Koch wurde übrigens 2021 in den Ruhestand verabschiedet, war ab in diesem Sommer bei den Olympischen Sommerspielen in Paris als Trainerin des belgischen Teams dabei.
Pikant: Koch ist Vizepräsidentin des Deutschen Turner-Bundes, ihr Amt ruht allerdings. Dennoch wird sie Kenntnis von den Briefen von Alt und auch Michelle Timm (27) an den Verband haben. Dass dieser darauf nicht reagierte, wenn eine der Angeklagten im Präsidium sitzt, hat einen faden Beigeschmack.
Mittlerweile hat sich der DTB aber geäußert und will lückenlos aufarbeiten. Den Turnerinnen, die zum größten Teil bereits alle ihre Karriere beendet haben, wird es keine Wunden heilen. Aber die aktuelle und kommende Generation soll so geschützt werden.
Titelfoto: Bildmontage: IMAGO / Andreas Gora, IMAGO / Schreyer